Sandmännchen

Sandmännchen müssen sich heute beruflich neu orientieren.

Sandmännchen müssen sich heute beruflich neu orientieren. Denn die Zeiten sind vorbei, in denen die Kleinen, mit offenem Mund und leuchtenden Augen ihre Geschichten anhörten. Heute muss sich ein Sandmännchen schon von den kleinsten Kindern belehren lassen, dass es weder Zauberer noch Feen gibt; dass Tiere auch in der Vorzeit nicht sprechen konnten und nie sprechen werden; und dass man an Märchen glaubte, als man noch unterentwickelt war und noch keine Raketen bauen konnte. Heute greifen unsere Kleinen lieber zu ihren Handys oder widmen sich ihren Videospielen an ihren PC‘s, statt ihre Zeit mit Phantasie-Geschichten zu vergeuden. 

Weil Kinder sich keinen Sand mehr in die Augen streuen lassen, kommen sich Sandmännchen überflüssig vor. Es wäre jedoch schade, wenn es sie nicht mehr gäbe. Wir brauchen sie, damit unsere so nüchterne und kalte Welt nicht ganz austrocknet. Denn in den Märchen, die von weisen Menschen erdacht wurden, steckt meist mehr Weisheit als in Tatsachenberichten oder manchen Büchern. 

Auch der modere, aufgeklärte Mensch glaubt gern an Zauberei und Spukgeschichten. Sandmännchen sollten deshalb auf ihren Sandsack achten, dass ihn niemand in Zeitungs-Redaktionen, Fernseh-Studios oder Wahlbüros schleppt und den Leuten Sand in die Augen streut, bis sie Vermutungen mit Tatsachen verwechseln und an die Mär von der Zauberkraft von Wahlprogrammen glauben. Märchen sollte man sich von niemand sonst, nur von Sandmännchen erzählen lassen! Seitdem die modernen Medien, den Leuten Sand in die Augen streuen, sollten Sandmännchen sich darauf verstehen, wie man ihnen den Sand wieder aus den Augen reibt.


P. Walter Rupp, SJ