Wegschlafen

Man muss sich Ängsten und Problemen stellen.

Man muss sich Ängsten und Problemen stellen. Man darf sie weder ignorieren noch unterdrücken. Man muss sie aufarbeiten, aber nicht sofort, und sie nicht gleich therapieren lassen. Beim Aufarbeiten machen sie sich oft wichtig und gaukeln uns vor, wie unüberwindbar und wie bedeutsam sie sind. Bevor man sich mit ihnen auseinandersetzt, sollte man sie in den Schlaf mitnehmen, damit sie und wir erst einmal zur Ruhe kommen und versuchen, ob man sie ‘wegschlafen‘ kann. 

Wegradieren ist nicht möglich. Denn ein Problem bleibt ein Problem und verlangt nach einer Lösung. Und Ängste lassen sich nicht verjagen. Sie wollen Antwort auf die Frage nach ihrer Herkunft, und wir möchten wissen, ob sie berechtigt oder eingebildet sind, und wie man sie beseitigt. Aber solange sie ganz nahe vor uns stehen, wirken sie einschüchternd. Wir brauchen deshalb die Distanz. Wir sollten erst einmal, bevor wir uns mit ihnen einlassen, darüber schlafen und alle Nervosität ablegen. Am folgenden Morgen sieht ein Problem anders als am Abend vorher aus: Weniger angsteinflößend und bedrohlich. Und wir sind nach dem Schlaf stärker. Ängste und Probleme sollten uns nicht wie unbesiegbare Riesen gegenübertreten, die uns den Mut rauben, gegen sie anzutreten, sondern als gewöhnliche, nicht als übermenschliche Wesen. Nachfahren sehen das, wovor Zeitgenossen erschrecken, deshalb gelassener, weil sie Abstand gewonnen haben. Distanz macht das, was riesig erscheint, viel kleiner. 


P. Walter Rupp, SJ