Vergessen

Es ist nicht gut, zu viel von dem, was man einmal gedacht, erlebt, erfahren hat, aufzubewahren.

Nicht nur auf Dachböden und in Kellern verkommen die dorthin abgestellten Möbelstücke, auch Gedanken und Erinnerungen, die man zu lange im Gehirn aufhebt, können von Schimmel befallen werden. Es ist nicht gut, zu viel von dem, was man einmal gedacht, erlebt, erfahren hat, aufzubewahren. Die nichts wegwerfen, aus der Angst heraus, sie könnten es vielleicht doch noch einmal gebrauchen, und den ohnehin begrenzten Raum, den menschliche Gehirne leider haben, mit den Misserfolgen und Enttäuschungen der Vergangenheit voll- stopfen, werden die Erfahrung machen müssen, dass Gedanken und Erinnerungen, wie Lebensmittel, deren Verfallsdatum überschritten ist, einmal ungenießbar werden. Es ist darum wichtig, dass man von Zeit zu Zeit Hirn und Herz entrümpelt, dass man wegwirft und vergisst. Vergessen wird zu negativ gesehen: als Zeichen von Zerstreutheit, als Gedächtnisschwäche oder gar als der Anfang eines Vertrottelungsprozesses. Das Gedächtnis muss, wie ein Wasserspeicher, der sonst überlaufen würde, immer wieder einmal eine Schleuse öffnen, oder wie ein Sieb, Spreu und Weizen trennen. So wird das Gehirn, das überholtes Wissen, ärgerliche Eindrücke und viel Überflüssiges aufbewahrt, entlastet. Es muss entlastet werden, damit wieder Platz geschaffen wird für das, was sich aufzubewahren lohnt. 

Wehe dem, der nicht vergessen kann. Er quält sich damit und seine Umwelt. Immer an etwas denken müssen, das Abscheu hervorruft. Immer von einer Erinnerung verfolgt werden, das kann zur Folter werden. Was gäbe mancher darum, wenn er endlich einmal vergessen könnte? Wer es nicht kann, schleppt einen Ballast mit sich herum, der ihn unbeweglich macht. Mit diesem Problem des Nicht-vergessen-könnens hatte auch der Philosoph Kant seine Mühe, und er löste es auf seine Weise: Um seinen Diener Lampe, den er wegen seiner Unzuverlässigkeit entlassen musste, aus seinem Gedächtnis auszuradieren, legte er auf seinen Schreibtisch einen Zettel mit der Aufschrift: „Lampe muss vergessen werden!“

Das ist die Weise, wie die meisten Menschen zu vergessen suchen. Sie sind dazu entschlossen, aber weil sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit von dem reden, was man ihnen angetan hat und wie schofel man mit ihnen umgegangen ist; weil sie das alles immer wieder schildern und sich immer neu erregen, prägt es sich ein und wird schließlich zum Hindernis, dass sie vergessen können. - Man vergisst nicht, indem man sich ständig vorhält, was man vergessen möchte. Man vergisst, wenn man sich nicht erinnert und seinen Blick auf andere Dinge lenkt.


P. Walter Rupp, SJ