Beredsamkeit

Ob Lügner besser als wahrheitsliebende Menschen reden

Ob Lügner besser als wahrheitsliebende Menschen reden, sei dahingestellt. Auf jeden Fall reden sie sehr viel schöner, weil nun einmal, um gut zu lügen, eine Menge Phantasie vonnöten ist. Der Wahrheitsliebende gibt sich gewöhnlich, wie die Bibel fordert, mit einem Ja, Ja oder Nein, Nein zufrieden. Aber ein Lügner kommt damit nicht aus. Er muss sich viel einfallen lassen, um von der Wahrheit abzulenken, seine wahren Gedanken zu verbergen oder zu verbergen, dass er keine hat. Wer der Wahrheit ausweicht, begibt sich auf einen verschlungenen Pfad, der überall enden kann, nicht selten im Gestrüpp. 

Bei denen, die so mühelos, wortgewandt und einschmeichelnd daherreden, ist Vorsicht angebracht. Allzu gefällige Reden sind fast immer das Erkennungsmerkmal einer Lüge.

In der Antike galt Rhetorik viel, und die Rhetoriker standen in hohem Ansehen. Aber die Vorwürfe, die man schon damals gegen sie erhob, sind bis heute nicht ausgeräumt: der Vorwurf, dass sie ihre Wortgewalt missbrauchen. Der Vorwurf, dass sie, statt das Scheinwissen aufzudecken, ihre Hörer mit Scheinargumenten täuschen. Und der Vorwurf, dass sie ihre Hörer zu überreden, statt zu überzeugen suchen. Der Unfug, den Sokrates an den Sophisten kritisierte, dass sie aus schwachen Argumenten starke Argumente machen, Wissen vortäuschen und mit ihren Spiegelfechtereien nur Verwirrung stiften, konnte noch immer nicht beseitigt werden. Und seine Forderung, dass alles Reden der Wahrheit dienen muss, konnte sich noch immer nicht durchsetzen.


P. Walter Rupp, SJ