Lese-Kunst

Journale beherrschen die Kunst der „Readability“.

Ein Journalist, der jegliche Fehlinformation vermeiden möchte, müsste über die ganze Welt ein engmaschiges Netz von Detektivbüros errichten. Die Hinweise, die er erhält, sind meist nur schwache Spuren, aus denen er das Geschehene rekonstruieren soll. Er kann nicht überall persönlich zugegen sein, nicht alles selbst erleben, hören, oder sehen. Er bleibt auf andere angewiesen, auf Mittelspersonen oder Agenturen. Nachrichten aus dem Ausland werden zudem oft mehrmals übersetzt - und das geschieht oft ungenau. Der Journalist weiß um diese Schwierigkeit und rechnet mit einer Fehlerquote. Das sollte auch der Leser tun.

Journale beherrschen die Kunst der „Readability“. Sie haben das Geschick, alles packend und doch vernünftig, mitreißend und doch unaufdringlich, fast spielerisch zu schildern. Ihnen geht es mehr als um die Wahrheit, um Spannung. Sie pointierten, glossieren und kommentieren deshalb nach Laune; verschweigen dabei die Wenn und Aber und Vielleicht, weil das die Sache nur uninteressanter und komplizierter machten würde. Schließlich verzichten sie nicht gern auf den Superlativ und sprechen von der größten Flugzeugkatastrophe, der bedeutendsten Uraufführung, der revolutionierendsten Erfindung und fügen, weil das so nicht stimmt, hinzu: seit 15 Jahren oder in dieser Stadt oder wie die Bewohner jener Gegend berichten. Auf diese Weise wird das so eindrucksvoll Geschilderte leicht zu einem Fantasiegebilde - unterhaltsam, aber von der Wirklichkeit mehr oder weniger weit entfernt. 


P. Walter Rupp, SJ