Achtsamkeit

Achtsamkeitsübungen sind heute ein beliebtes Angebot für Stressgeplagte, die in Kursen lernen können

Es ist erstaunlich, eine wie steile Karriere dem Wort Achtsamkeit innerhalb kurzer Zeit gelang. Man spricht es heute mit großer Ehrfurcht aus und reicht es herum wie einen kostbaren Gegenstand, der lange Zeit in Asien verborgen lag, und den ein achtsamer Entdecker endlich nach Europa brachte.  Achtsamkeitsübungen sind heute ein beliebtes Angebot für Stressgeplagte, die in Kursen lernen können, wie man auf seinen Atem, seine Gefühle oder seine Gedanken achtet, ja wie man die Eindrücke und Reize der Umwelt ausblendet, damit man das, was man für wichtig hält, intensiver wahrnehmen kann. 

Häufig blicken wir in die verkehrte Richtung. Unsere Achtsamkeit ist oft darauf gerichtet, wie wir Aufmerksamkeit erregen, wie wir im Mittelpunkt stehen und die Blicke auf uns lenken können. Mancher schafft das durch sein Aussehen und mit Hilfe seiner Kleidung oder mit Tattoos und mancher, indem er das Gespräch an sich reißt. Aber es geht doch darum, dem unsere Aufmerksamkeit zu schenken, was Aufmerksamkeit verdient. 

Achtsamkeit hat den biblischen Begriff der Wachsamkeit verdrängt. Der Achtsame schaut auf bestimmte Punkte: auf seine Stimmung oder auf sein Verhalten anderen gegenüber. Der Wachsame ist bemüht, Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Aber beide haben dasselbe Ziel vor Augen: hellwach und geistig ganz präsent zu sein. Wir brauchen, weil wir gewöhnlich Schlafwandler sind, Achtsamkeit und Wachsamkeit. Wir brauchen sie im Straßenverkehr, auf einer Bergtour und im Alltag, wenn wir vor Fehlverhalten oder Fehlentscheidungen vermeiden wollen, ja wenn wir Gefahren erkennen und Chancen nutzen wollen. Ohne sie würde der Flug-Kapitän nicht zum Ziel bringen, der Chirurg die Operation nicht durchführen und der Pianist die Konzertbesucher nicht erfreuen können. Niemand kann darauf verzichten, wenn er vermeiden will, dass er in Gefahren tappt. 


P. Walter Rupp, SJ