Der unbekannte Gott

Die antiken Götter gibt es zwar nicht mehr, Apollo existiert nur noch als Raumrakete.

Die ersten Christen wurden zu ihrer Zeit vorschnell bei den Atheisten eingereiht, weil sie sich weigerten, die antiken Götter zu verehren, die doch allzu menschliche Züge, vor allem alle menschlichen Laster hatten. Man hatte nicht verstanden, dass sie nicht gegen Gott, sondern gegen falsche Gottesbilder aufbegehrten. Der moderne, aufgeklärte Mensch unseres Jahrhunderts glaubt zwar nicht an einen Götterhimmel, doch hat auch er viele Götter neben Gott. Es sind die vielen kleinen selbst geschaffenen Götter wie Karriere, Ansehen, Konsum oder Geld. Ihnen unterwirft er sich total und opfert für sie alles: Zeit, Gesundheit, Freiheit und Talente. 

Die antiken Götter gibt es zwar nicht mehr, Apollo existiert nur noch als Raumrakete. Aber die Vorstellung von einem Gott, der in seiner Laune entweder mit den Menschen spielt oder weit weg, irgendwo hinter der Milchstraße zuhause ist, dürfte weit verbreitet sein. Für viele besteht zwischen dem Jenseits und dem Hier eine unüberbrückbare Kluft. Viele zweifeln wohl nicht, dass Gott die Welt geschaffen hat, aber sie vermuten, er habe sich bald danach desinteressiert, enttäuscht und angewidert zurückgezogen und führe nun sein Eigenleben.

Die Generation von heute vermeidet es, vom guten oder vom ‘Lieben Gott‘ zu sprechen. Die Literatur der Gegenwart stellt ihn gern als Versager vor, der Unheil nicht verhindern kann oder nicht verhindern will, und als das Wesen, das mitleidlos, untätig und gelangweilt auf das niedere Erdenleben herab blickt.

Der Deismus hat sich breit gemacht und wurde zur größten Konfession: Weithin herrscht die Überzeugung, dass Gott für seine Geschöpfe kein Interesse hat. Diese Sicht verführt die Menschen, sich für diesen desinteressierten Gott auch nicht zu interessieren. Wo Menschen Gott der Gleichgültigkeit verdächtigen, werden sie sich mit Gleichgültigkeit Gott gegenüber revanchieren.


P. Walter Rupp, SJ