Die Muschel

Der Beter befindet sich deshalb in dem Dilemma: Er weiß, dass er nichts zu sagen weiß, wenn er von Gott redet

Der Kirchenlehrer Augustinus erzählt von sich, ihm sei, als er beim Schreiben seines Buches über den dreieinigen Gott nicht recht weiterkam und sinnierend am Strand des Meeres spazieren ging, ein kleiner Junge aufgefallen, der immer wieder zum Strand lief, mit Hilfe einer Muschel Wasser aus dem Meer schöpfte und es dann in ein Loch goss, das er in den Sand gegraben hatte. Augustinus fragte ihn: Was machst du da, mein Kind? Und der Kleine gab zur Antwort: Ich schöpfe das Meer aus und gieße es in diese Grube. Augustinus musste über diese kindlich naive Antwort lächeln. Doch auf einmal schoss ihm der Gedanke durch den Kopf: Versuche nicht auch ich wie dieses Kind dasselbe? Er erkannte plötzlich, dass Gott durch diesen Jungen zu ihm sprach, und er sagte zu sich: Auch ich strenge mich an, Wahrheiten zu erfassen, die unfassbar sind und Gott, der unendlich und ein undurchdringliches Geheimnis ist, in meinen kleinen, begrenzten Verstand hineinzubringen. In seinen Bekenntnissen stellt er Gott die Frage: "Was vermag ein Mensch zu sagen, wenn er von dir redet?" Und er fügt hinzu: Aber "wehe denen, die von dir schweigen, wo doch sogar die stummen Wesen reden." Der Beter befindet sich deshalb in dem Dilemma: Er weiß, dass er nichts zu sagen weiß, wenn er von Gott redet und spürt zugleich, dass er nicht schweigen darf, weil auch die gesamte Schöpfung nicht schweigt und auf den Schöpfer hinweist. 

Die Theologen haben oft Theologie betrieben, als könnten sie, wenn sie nur fleißig spekulieren, Gott ein Geheimnis nach dem anderen entreißen, das er vor den Menschen verborgen halten will. Sie haben oft vergessen und vergessen oft, dass niemand Gott beschreiben kann, weil Gott zu groß und das menschliche Gehirn zu klein ist. Die Theologen können nur - wie das Kind am Meer - aus der Unendlichkeit Gottes ein paar Tropfen schöpfen und sie in ihre Dogmen, Katechismen und Lehrbücher gießen.


P. Walter Rupp, SJ