Ein Blick zurück

Wäre es möglich, Menschen von einer Zeit in eine andere zu versetzen, es käme sicher keine bessere Zeit dabei heraus.

Vielleicht litt mancher Steinzeitmensch darunter, dass ihm nur primitive Werkzeuge zur Verfügung standen? Vielleicht ging mancher Urmensch nur widerwillig auf die Jagd und wäre glücklich gewesen, hätte er in einem Büro hinter einem PC sitzen dürfen? Vielleicht gab es Höhlenbewohner, die das Bemalen der Felswände grässlich fanden und sie lieber mit Spraydosen besprüht hätten. Vielleicht hätte mancher Denker des Altertums in einem modernen Forschungslabor Entdeckungen gemacht, die heutigen Forschern nicht gelingen. Sicher wäre mancher Athlet der Antike liebend gern in einem mit zig-tausenden Zuschauern besetzten Stadion zu Wettkämpfen und dann zu einem Fernseh-Interview angetreten. Und mancher mittelalterliche Ritter hätte sein Pferd gegen eine schnittige Limousine eingetauscht? Cäsar würde sich in unserer Zeit nur schwer damit abfinden, dass es den Limes und die römischen Kastelle nicht mehr gibt. Columbus müsste, weil auf unserer Erde kein neuer Kontinent mehr zu entdecken ist, als Astronaut Entdeckungsflüge in den Weltraum unternehmen. Und Napoleon würde unter Depressionen leiden, weil Kriege im geeinten Europa kaum noch möglich sind. Hundert Jahre früher hätte Darwin seine Evolution und Einstein seine Relativität nicht begründen können. Die Volkstribunen Danton und Robespierre müssten sich in unserer Zeit für den humanen Strafvollzug einsetzen. Wäre Bismarck heute Kanzler, fände man seine großdeutsche Lösung kleinkariert. Von Voltaire würde man heute verlangen, dass er sich scharfzüngiger und noch boshafter ausdrückt, und von Shakespeare, dass seine Narren statt geistreicher Witze Kalauer von sich geben. Mozart müsste in unserer Zeit seine Werke jazz-band-tauglich komponieren. Karl Marx müsste den Aufsichtsratsposten eines globalen Unternehmens annehmen, und der Kirchenlehrer Augustinus müsste sich von den Verlegern vorhalten lassen, dass seinen Bekenntnissen all das fehlt, was den Reiz von Memoiren ausmacht. Auf seine Bischofsernennung hätte er wegen seiner Vergangenheit zu verzichten. Und Jesus von Nazareth hätte es in unserer Medienwelt besonders schwer, dass das Heer der Kritiker und Besserwisser seine Botschaft mit ihren Kommentaren nicht unkenntlich macht und zudeckt.

Wäre es möglich, Menschen von einer Zeit in eine andere zu versetzen, es käme sicher keine bessere Zeit dabei heraus. Denn einer, der sich in der vergangenen Zeiten schwer tat, käme auch mit unserer Zeit nur schwer zurecht, und einer, der in unsere Zeit nicht passt, würde auch in eine andere Zeit nicht passen. Wer möchte schließlich schon vor Jahrhunderten gelebt haben oder Jahrhunderte später leben?


P. Walter Rupp, SJ