18. Sonntag im Jahreskreis (C)

Predigtimpuls

Über den Sinn des Lebens

1. Lesung: Koh 1,2;2,21-23
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Kol 3,1-5;9-11
Evangelium: Lk 12,13-21

Carpe diem!“ „Pflücke den Tag!“ „Hol heraus aus dem Leben, was es zu bieten hat, bevor es zu spät ist“, so könnte man frei die berühmte Sentenz aus der 1. Ode des Horaz übersetzen. 

Zur selben damaligen Zeit las man des Öfteren auf römischen Gräbern die folgende Inschrift: „Bibe, lude, veni!“ „Trink und spiel und komm!“ Mit anderen Worten: „Genieße dein Leben, dann komm und stirb und lass alles vorbei sein!“

Wie ähnlich tönt da der reiche Bauer aus dem Gleichnis Jesu: „Ruh dich aus, iss und trink, und freu dich des Lebens.“ Wie ähnlich – und doch wie anders die Folgerung! Zwar auch hier mitten hinein in diese simple Genieße-das-Leben-Philosophie die Stimme des Alles-Zermalmers, des Todes, aber nicht resignierend, sondern schneidend scharf mahnend: „Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurück fordern. Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast?“ Man kann die Frage auch anders stellen: Was ist dann der Erfolg, der bleibende Ertrag deines Lebens? Was du angehäuft hast an materiellen Gütern, an Lebensgenuss, das lässt du hier zurück. Bekanntlich hat das Totenhemd keine Taschen. Was aber bleibt dann von diesem Leben? 

Die zitierten römischen Sinnsprüche haben diese Frage: „Was bleibt?“, genauso wenig gestellt wie die meisten Menschen der Antike z. Zt. Jesu. Angesichts des Todes herrschte eine allgemeine resignative Grundstimmung. Als etwas Schicksalhaftes, Unabänderliches ohne jede lohnende Perspektive darüber hinaus wurde er angesehen. Warum daher an morgen denken? Heute liegt mir das Glück zu Füßen, oder vielleicht auch nicht. Aber wenn, dann greif zu und koste es aus! Was geht mich dabei der Unglückliche neben mir an? Er sehe selber zu! Ich bin für mein Glück verantwortlich. – Welche Ähnlichkeit zu unserer Zeit!

In etwas abgewandelter Form war das übrigens auch das Lebensgefühl des gläubigen Juden über die längste Zeit des Alten Testamentes hinweg. Alle Hoffnung sowohl des Volkes wie auch des Einzelnen war auf das Diesseits gerichtet. (Danach – nach diesem Leben – kam nur noch die Scheol, das Reich restloser Finsternis, Freudlosigkeit, lebendigen Tot-Seins.)

Besitz, Reichtum, Ansehen, viele Kinder, Gesundheit und langes Leben galten als Lohn für ein Leben nach der Tora, nach den Geboten Jahwes. Mit all dem segnete Gott den Gottesfürchtigen, mit dem Entzug bestrafte Er den Gottlosen.

Im Alten Testament gibt es nun aber zwei Bücher, unter deren Hammerschlägen diese rein diesseitsorientierte Lebensphilosophie, dieser sogenannte Tun-Ergehens-Zusammenhang zwar nicht zusammenbrach, aber doch aufgebrochen wurde und den Weg bahnten zu einer Hoffnung über den Tod hinaus. Das eine ist das Buch Hiob, das die Frage nach dem Leiden des Gerechten stellt. Warum gibt es das Leiden der Guten und das Glück der Bösen? Kann es sein, dass diese Ungerechtigkeit das letzte Wort hat? Denn man hatte einfach beobachtet: Die Theorie – dass es dem Guten gut und dem Schlechten schlecht geht – hielt der irdischen Realität nicht Stand.

Das andere große Fragezeichen im Alten Testament ist das Buch Kohelet, aus dem wir vorhin die ersten Verse gehört haben. „Windhauch, Windhauch, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch.“ Mit diesem fünfmaligen Ostinato: – alles, restlos alles ist eitel, wertlos, nichtig! Warum? Weil es vergänglich ist, weil schon von vornherein von Tod und Vergehen gezeichnet – setzt dieses Buch des Alten Testamentes ein. Buddha, der große Weise Indiens, hatte aus haargenau derselben Erfahrung und Erkenntnis heraus das ganze Dasein für leidvoll erklärt. Ich sein, glücklich sein, ist eine Illusion, weil das Ich und das Glück morgen schon, spätestens im Tod nicht mehr ist.

Das Neue, das mit Jesus Christus in die Welt gekommen ist, ist die Antwort auf die Frage, die der Tod stellt, und diese Antwort ist Er selbst, Christus, der Logos, der Sinn. In der heutigen Evangeliums-Perikope stellt er selbst die Frage nach dem Sinn, und beantwortet sie hier negativ, nämlich: Worin er nicht besteht: „Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt.“ Diesen platten Lebenssinn unzähliger Menschen zerstört der Tod restlos, wie Jesus mit seinem Gleichnis illustriert. Der Tod macht die Armut dessen offenbar, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist, wie Jesus am Schluss resümiert.

Was aber macht dann reich vor Gott? Die Antwort wird an anderer Stelle gegeben: Wahrhaft reich macht die Bereitschaft, gegen die scheinbaren Plausibilitäten unseres Lebens das Wagnis einzugehen, etwas scheinbar Unplausibles, Paradoxes zu leben.

Die scheinbaren Plausibilitäten sind: Der Tod ist endgültig, daher muss ich hier und jetzt für mein Glück und meinen Spaß sorgen, denn alles andere ist pure Vertröstung auf ein vages Jenseits; und da das, was Spaß macht, in der Regel etwas kostet, besteht Glück vor allem im Haben; und Haben tue ich etwas nur, wenn ich es für mich habe.

Das christliche Paradox ist dagegen: Das Leben wächst gleichsam auf dem „Mistbeet des Todes“. Nur wer sich selber „stirbt“ – seinem Egoismus, seiner Selbstbezogenheit, seinem Haben- und für sich selber immer mehr Haben-Wollen – beginnt in Wahrheit zu leben. Und wer so lebt und stirbt, für den wird der Tod zum Tor ewigen Lebens. Erst das Jenseits, in dem ich mich vor Gott für mein Leben verantworten muss, macht auch das Diesseits wertvoll, nämlich bleibend wertvoll. Ohne Jenseits ist das Diesseits letztlich eben nur Windhauch, Verfall auf den Tod hin, die Belanglosigkeit einiger Momente des Glücks, oft zum Preis eigener oder auch fremder Tränen.

Was aber bleibt über den Tod hinaus? Paradoxerweise gerade nicht, was ich habe und besitze, sondern was ich geschenkt und wovon ich mich selbst arm gemacht habe: nicht nur was Geld und materielle Güter betrifft, sondern auch Zeit, Zuwendung, Liebe. Das christliche Paradox, dass in meinen Besitz nur übergeht, was ich loslasse und schenke – das ist das Geheimnis des himmlischen Glücks, das freilich auch schon hier auf der Erde beginnt. Es ist das Geheimnis des Schatzes im Himmel, von dem Jesus an anderer Stelle spricht, aufbewahrt bei Gott für die Ewigkeit. Auch und gerade wir Christen stehen immer vor dieser Alternative: Folge ich dem Lebensentwurf des reichen Bauern aus dem Gleichnis Jesu, oder folge ich dem Lebensentwurf Jesu selbst? An dieser Frage entscheidet sich das Scheitern oder das Gelingen unseres Lebens.


Pfr. Bodo Windolf