Lebenskunst

Man wird den Schülerzweifel, ob die Schule das Leben wirklich kennt, nie ganz ausräumen können,

Das Schulfach 'Lebenskunst' gibt es noch nicht. Die Schulen wiederholen zwar, ihre Schüler müssten nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen. Doch Einstein's Einwand "der Jammer mit Europa sei, dass die Völker mit falschen Zielen erzogen worden sind", hat noch seine Gültigkeit. Zwar unterlassen moderne Schulbücher "die Verherrlichung des Krieges und unterschlagen seine Gräuel nicht", aber dass sie keine falschen Ziele lehren, dafür gibt es noch immer keine Garantie. Außerdem wird man den Schülerzweifel, ob die Schule das Leben wirklich kennt, nie ganz ausräumen können, müssen Schüler doch die Erfahrung machen, dass ihre Lehrer über das 'eine Wichtige', worauf es letztlich ankommt, meist sehr verschiedene Meinungen haben, und sich darüber nie einigen werden, welche Erkenntnisse überflüssig und welche unverzichtbar sind, welcher Schriftsteller gelesen oder nicht gelesen werden sollte, und wie ein historisches Ereignis zu bewerten ist. Der Jugendliche kam sich früher vor, nachdem er sein Elternhaus verlassen hatte, wie in einem Wald, wo man immer wieder einen Wegweiser und eine Markierung findet, bis auf einmal keiner mehr kommt, und man ganz auf sich angewiesen bleibt. Im Zeitalter des Pluralismus, wo der Wald von Wegweisern nur so wimmelt, wurde eine Orientierung für den Jugendlichen schier unmöglich, weil alle Wegweiser in verschiedene Himmelsrichtungen weisen. Von der Wissenschaft ist die Antwort, wie man leben soll, nicht zu erwarten. Sie fragt nach dem 'Woher', nicht nach dem 'Wohin' und nicht nach dem 'Wofür'. Sie fühlt sich, was Sinn und Ziel betrifft, nicht zuständig. Die Psychologen beschäftigen sich zu sehr, mit dem Aufräumen weit zurückliegender Kindheitserinnerungen, so dass sie nicht mehr zu deren Gegenwartsproblemen kommen. Die Medien zeigen zu viele Beispiele von missglücktem Leben und zwingen den Zuschauer, mit den Augen des Berichterstatters auf die Welt zu sehen. Und die Theologen auferlegen sich eine zu große Zurückhaltung, wenn es um die Erklärung geht, weshalb es sich zu leben lohnt. Fragen, die für die Lebensgestaltung von Bedeutung sind: "Wer bin ich", "Was soll ich soll tun", werden in Vorträgen, Hörsälen und Gesprächen fast nie berührt, und kommen sogar in Predigten zu kurz. Die Menschen sollten sich dieser Frage auch nicht erst in einer Krisensituation stellen, sondern sich mit ihr befassen, solange sie unbedrängt sind.


P. Walter Rupp, SJ