Materialismus

Es ist unbestreitbar, dass der Geist des Menschen auf die Materie angewiesen ist.

Diesen krassen Materialismus, der einmal die Gedanken als Urin des Gehirns bezeichnete, vertritt inzwischen niemand mehr. Natürlich ist es unbestreitbar, dass der Geist des Menschen auf die Materie angewiesen ist. Ohne Gehirnzellen wäre ein Denken, Planen oder Wollen ausgeschlossen. Ohne Sprachwerkzeuge gäbe es keine Sprache. Und ohne Nervenzellen wären wir empfindungslos. Der Leib ist für uns ein unentbehrliches Werkzeug. Aber weder die Gehirnzellen noch die Sprachwerkzeuge noch die Nervenzellen bestimmen, was wir zu denken, zu reden oder zu fühlen haben. Wir bestimmen und gebrauchen sie. 

Würde die Materie über den Geist bestimmen, müssten die Künstler, der Musiker, der Maler und der Dichter, die Frage stellen: Was für eine Speise soll ich zu mir nehmen, damit ich ein Klavierkonzert komponieren, eine abstraktes Bild malen, einen Liebesroman oder ein Gedicht schreiben kann? Tatsache ist, dass wir dieselbe Speise verschieden verdauen. Der eine lässt sich zu einem netten Gespräch anregen, ein anderer zu einer sportlichen Höchstleistung oder zu einem Wutausbruch. 

Wenn die Materie wirklich so beherrschend ist, dann stellt sich die Frage, warum die vielen Wohlgenährten so selten auch die geistig Produktiven sind und mancher Dichter, der sich mit einem kargen Mahl zufrieden geben musste, große Werke schuf?


P. Walter Rupp, SJ