Positives Denken

Es ist sicher gut und nützlich, das positive Denken einzuüben und zu versuchen

Es ist sicher gut und nützlich, das positive Denken einzuüben und zu versuchen, zunächst einmal hinter allem etwas Gutes zu entdecken. Aber man sollte diese Kunst nicht so pervertieren, dass das Negative dabei positiv erscheint und man sich am Ende über das Böse in der Welt nicht mehr erregen kann. 

Mancher findet: Konsumeinstellung sei gar nicht so schlecht. Dadurch, dass so viele ihr Geld in Genussmittel investieren, sei erst ein großer Industriezweig möglich, der wiederum vielen Menschen Arbeitsplätze bietet. Ihm scheint, Gewaltaktionen, Steinwurfattacken, Kaufhausbrände oder Straßenschlachten hätten zweifellos ihr Gutes. Sie erhellten das Bewusstsein, weckten und schreckten die Bürger auf aus ihrer Schläfrigkeit und legten schonungslos Missstände bloß. Er sieht sogar im Rückgang der Geburtenraten etwas Positives. Er findet: vielen Kindern bleibe so die Last, leben zu müssen erspart und künftigen Geschlechtern das Zusammenleben auf noch engerem Raum.

Mit einer geschickten Redewendung lässt sich das Negative schnell umlügen in eine positive Tat: Gammler bewahrten die Gesellschaft vor einer Überlastung ihrer Bildungsstätten; Süchtige drängten die Gesellschaft zur Gewissenserforschung, über ihre Versäumnisse nachzudenken; Kriminelle trügen dazu bei, dass Polizei und Pädagogen endlich ihre längst überalterten Methoden verfeinern; Kirchenaustritte beschleunigten den in der Kirche längst fälligen Reinigungsprozess, und Katastrophen oder Unfälle seien für Techniker der notwendige Anreiz, die Sicherheitsvorkehrungen zu verbessern. 

Diese Sicht hat mit positivem Denken nichts zu tun. Unter diesem Blickwinkel kommt man zu dem Schluss: Ein Übel sei gar nicht so übel. Und man ist geneigt, es zu tolerieren, so dass es sich ungestört entwickeln und ausbreiten kann.


P. Walter Rupp, SJ