Hl. Josef Freinademetz, Heiligsprechung

Predigtimpuls

Die Liebe Gottes spürbar machen

Lesung: 1 Kor 13,1-10
Oder: Röm 14-19a.20-21
Evangelium: Joh 15,8-17
Oder: Lk 10,1-9

Die Liebe Gottes spürbar machen

„Der Chinese ist vom Schöpfer nicht mit den gleichen Anlagen ausgestattet worden wie der Europäer. ... Der Chinese vermag nicht, sich zu einem höheren Gedanken aufzuschwingen.“

„Rassistisch“ nennt man solches Reden heutzutage. Es sind Worte eines China-
Missionars, der am 5.Oktober 2003 „zur Ehre der Altäre“ erhoben wird: Josef
Freinademetz heißt er und ist 1852 inmitten der Südtiroler Dolomiten geboren. – Was ist an dem Mann, dass er zu dieser Ehre kommt?

Heilige sind Vorzeigechristen, Leitfiguren: Josef Freinademetz aber war keine
Führernatur; er hat keinen Orden gegründet und wurde nie Bischof; er war der typische „ewige Zweite“; er hat kein theologisches Werk geschrieben und keine neue Missionsmethode entwickelt; er starb auch nicht den Märtyrertod, sondern wurde wie viele andere Opfer einer Typhusepidemie.
Warum spricht die Kirche so einen Mann heilig?

Als er sich 1879, er war gerade 27 Jahre alt, von der Heimat verabschiedete, tat er das sehr selbstsicher: „Ich kenne das übergroße Elend unserer Brüder jenseits des Meeres. Mit Tränen in den Augen strecken sie uns die Arme entgegen und bitten um Hilfe!“

Das hat er also erwartet: Dass die armen Chinesen nur darauf warten, dass ihnen
endlich jemand die Frohe Botschaft verkündet. Und er, Josef Freinademetz, war
bereit dazu: Elternhaus, Heimat, seine geliebten Berge, die Freunde, seine Position als Diözesanpriester – es war kein geringer Preis, den er dafür zahlte.

Nur: die Chinesen hatten keine Tränen in den Augen, sie wollten nur den exotischen Europäer sehen; sie streckten ihm die Arme nicht entgegen, sondern zeigten mit dem Finger auf seine für sie ungewohnte lange Nase; sie baten nicht um Hilfe, sondern schrien ihm „Femder Teufel!“ nach. Da lag offensichtlich ein Missverständnis vor.

Die erste Zeit verbrachte Freinademetz in einem gottverlassenen schmutzigen
Fischerdorf im Hinterland von Hongkong, die meiste Zeit mutterseelenallein mit einem alten Chinesen. Sein Lehrmeister, ein Missionar aus Italien, war wochenlang weg und besuchte die Christen. Nach dem ersten halben Jahr wurden die Rollen getauscht: Jetzt blieb der Italiener in der Station und Freinademetz besuchte die wenigen Christen auf den einzelnen Inseln und in den verstreuten Dörfern.

Die vielen einsamen Wochen, die mangelnden Sprachkenntnisse, dazu Malaria,
Magen- und Darmprobleme, und immer wieder: „Fremder Teufel!“ – Das ging tief. Dabei hatte er sich längst angepasst: aus Josef Freinademetz war „Fu Shenfu“ – „Priester des Glücks“, geworden; vom rotblonden Haarschopf war nur noch ein Büschel am Hinterkopf geblieben, an dem der falsche, schwarze Zopf baumelte; der schwarze Talar war einer blauen Toga gewichen, die Leder- den Leinenschuhen. Und dennoch, statt Taufwilliger immer nur Spötter: „Fremder Teufel!“ Da musste er natürlich die Dinge wieder in die rechte Ordnung bringen: „China ist recht eigentlich das Reich des Teufels. Man kann keine zehn Schritte gehen, ohne dass einem allerhand höllische Fratzen und die verschiedensten Teufeleien unter die Augen treten!“ – Und er war gekommen, diesem Teufel das Handwerk zu legen!

Der neue Name, die chinesischen Kleider und der lange Zopf haben aus Josef
Freinademetz keinen neuen Menschen gemacht. Er ist Europäer, Tiroler geblieben. Aber es arbeitet in ihm, er wird von Brief zu Brief kleinlauter, nimmt sich schließlich selbst in die Mangel: „Die Hauptsache bleibt zu tun übrig, die Umwandlung des inneren Menschen: chinesische Anschauungsweise, chinesische Sitten und Gebräuche, chinesischen Charakter und Anlagen studieren, das geht nicht an einem Tag, auch nicht in einem Jahr, und auch nicht ohne manche schmerzliche Operation.“

Ohne es wissen zu können, hat er damit sein Lebensprogramm formuliert. Er löst
sich von seinen engen Gedankengängen und wird zum begnadeten Missionar.

Er muss viel gegrübelt, viel gebetet haben auf seinen langen, einsamen Wegen, denn es stellen sich Gedanken ein, die nicht von heute auf morgen kommen. Er besinnt sich seiner Berufung: Es geht um das großartige Erlösungswerk des Gekreuzigten – und nicht um einen Erfolg des Josef Freinademetz aus Südtirol. „... In diesem Lichte bekommt alles eine neue, ganz eigentümliche Farbe; das an sich Kleine und Unbedeutende erhält einen eigentümlichen Reiz, das an sich Bittere eine eigentümliche Süßigkeit. Die stille Einsamkeit und allseitige Verlassenheit spricht eigentümlich zu Herzen... der Missionar weiß oft nicht, ob er vor innerem Weh weinen oder vor Freude aufjubeln soll.“

– „... das an sich Kleine und Unbedeutende... das an sich Bittere... vor innerem Weh weinen oder vor Freude aufjubeln...“ Das sind nicht die Worte eines Mannes im abgeklärten Alter. Er ist 29 Jahre alt, als er diese mystisch klingenden Zeilen am Ende seiner zwei Jahre in Hongkong niederschreibt. Diese zwei Jahre waren sein „Missionsnoviziat“, sagt er. Es sind entscheidende Jahre, Jahre, in denen er den Grund und Boden gefunden hat, auf dem er sein Leben in China aufbauen kann.

In Süd-Shantung, seiner endgültigen Mission, angekommen, ist er zunächst zwei und dann noch einmal vier Jahre Wandermissionar, d.h. wochen-, ja monatelang wie in Hongkong wieder allein unterwegs; er isst, was die Leute essen, er schläft, wo sie ihm einen Platz lassen. Und er versucht, die, die neugierig auf den Europäer  sind, neugierig auf seinen Glauben zu machen. Erste Erfolge stellen sich ein, den größten vertraut er am 15. August 1886 seinem Tagebuch an, es ist der Tag, an dem er die ewigen Gelübde abgelegt hat: „Somit Bruder Joseph, ist das Los gefallen: bete, arbeite, leide, ertrage. Dein ganzes Leben für Deine lieben Chinesen, auf dass, wenn du dereinst am Abend deines Lebens dich zum Sterben niederlegen wirst, du dich schlafen legen kannst neben und mit deinen teuren Chinesen!“

„So gelobe ich dir, heiliger, dreieiniger Gott...“ heißt es in der Gelübdeformel. Für
Freinademetz aber sind die Gelübde nicht nur seine innere, vorbehaltlose Ganzhingabe an den Schöpfer. Er vernetzt damit vielmehr sein persönliches Leben mit dem Schicksal ganz konkreter Menschen, mit den Menschen in Süd-Shantung. Er opfert nicht nur seine Kraft, seine Energie, sein Leben für sie – „bete, arbeite, leide...“ – er verbindet auch seine Hoffnung auf die ewige Glückseligkeit mit ihnen. D.h. er will sich sein Leben, ja nicht einmal den Himmel, ohne Chinesen nicht mehr vorstellen: „... damit du dich schlafen legen kannst neben und mit deinen teuren Chinesen...“

Da schwingt mehr mit als Askese oder spirituelle Selbstaufopferung; da wirft sich
vielmehr einer mit Haut und Haar in die Waagschale für Leute, die ihm viel wert sein müssen: Er hat sie liebgewonnen, seine „teuren Chinesen“. In der Vorbereitung auf die Gelübde hatte er nach Hause geschrieben: „Ich sage Euch ehrlich und offen: Ich liebe China und die Chinesen... Jetzt, wo ich mit der Sprache nicht mehr so große Schwierigkeiten habe, und wo ich das Volk und seine Lebensweise kenne, ist mir China zur Heimat geworden und zu dem Schlachtfeld, auf dem ich einmal fallen möchte...“ Mag uns heute auch das Bild vom „Schlachtfeld“ aufstoßen, er meint damit wohl, dass sein Einsatz nicht nur dem Reich Gottes im allgemeinen gilt, sondern dass es ihm um diese ganz konkreten Menschen geht, mit denen er tagein tagaus zu tun hat; für die, die er nicht in irgendeinem überhöhten Sinn, sondern um ihrer selbst willen liebt: „Ich will leben und sterben mit den Chinesen“, bekommt seine Schwester zu lesen. Josef Freinademetz begreift: Seine Sendung ist nicht die des Jesuiten Franz Xaver, der Abertausende getauft haben soll. Seine Sendung ist, die Chinesen die Liebe Gottes spüren zu lassen.

Es ist die Liebe, die der Völkerapostel Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther beschreibt: „Sie trägt das Böse nicht nach. ... Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.“ (1Kor 13,5b.7). Die Liebe des Südtirolers muss tatsächlich viel „ertragen“, muss oft „standhalten“, z.B., dass er von seinen „teuren Chinesen“ halbtot geschlagen wird; dass er immer wieder betrogen wird; dass seine Gutmütigkeit schamlos ausgenützt wird... Seine „Liebe ist langmütig... trägt das Böse nicht nach...“. Was er, Freinademetz, nicht mehr erträgt, ist, wenn seine Mitbrüder über „die Chinesen“ herfahren.

Im Trend der Zeit liegt er mit seiner Haltung nicht: „Wie kann der Mann noch Beichte hören, wenn er diese Menschen für heilig hält?“ fragt einer. Freinademetz hat an einem anderen Gedanken schwer zu tragen: „Außerhalb der Kirche kein Heil!“ sagt die Theologie seiner Zeit. D.h. dass der Großteil der von ihm so geliebten Chinesen nicht zum Heil findet. Der Gedanke muss für ihn – über die offizielle kirchliche Lehre hinauszudenken ist er nicht der Mann – fürchterlich gewesen sein. Ob er deshalb danach strebte, Märtyrer zu werden, sein Leben sozusagen stellvertretend für sie in die Waagschale zu werfen? Zuzutrauen ist es ihm: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt!“ Den Satz aus dem Johannesevangelium (15,13) wird er da wohl im Sinn gehabt haben.

Freinademetz lebt in der Zeit des Imperialismus, einer Zeit, in der sich die weiße Rasse in unüberbietbarer Arroganz überlegen fühlt. Das hat auch China zu respektieren, wenn nicht, dann sei „mit gepanzerter Faust dreinzufahren“, gibt Kaiser Wilhelm II. seinen Soldaten mit auf den Weg. „Wo der deutsche Aar seine Fänge ins Land geschlagen hat, das Land ist deutsch und wird deutsch bleiben!” ist aus „allerhöchstem“, kaiserlichem Munde zu vernehmen, als das Deutsche Reich 1897 – unter dem Vorwand, die Missionare, unter ihnen Josef Freinademetz, beschützen zu müssen – die Bucht von Kiaotchow besetzt. Der Bruder des Kaisers, Prinz Heinrich, bekommt von Josef Freinademetz geradeheraus zu hören, dass er, Freinademetz, die Besetzung chinesischen Territoriums durch das Deutsche Reich nicht für gerechtfertigt halte. – Die Liebe zu seinen Chinesen zählt mehr als diplomatische Rücksichten.

Als es dann um einen neuen Bischof geht, schließen die Deutschen den Südtiroler als österreichischen Staatsbürger aus. Der ist empört, weil seine Kirche das respektiert – nicht weil er Bischof werden möchte, denn „auf einen Strohkopf passt keine Mitra“, schreibt er einem ehemaligen Schulfreund. Eine Mitra passt offensichtlich nicht auf den Kopf dieses Querdenkers, aber ein Heiligenschein allemal, meint wohl nicht nur Johannes Paul II.

 

P. Sepp Hollweck SVD