Erntedankfest (B)

Predigtimpuls

Ein „Denk-mal-Fest“

1. Lesung: Gen 1,1.26-31a
Oder: Dtn 16,13-15
Oder: Dtn 8,6-18

2. Lesung: 2Kor 9,6-15
Oder: 1Thess 5,12-22
Oder: 1Tim 4,1-5

Evangelium: Mk 4,26-29
Oder: Mk 8,1-10
Oder: Mk 6,30-44
Oder: Lk 12,15-21
Oder: Lk 17, 1-19

„Danke für das Wasser, das mich wachgemacht hat, für die Seife, die so gut riecht, für die erfrischende Zahnpasta. Danke für den Wagen der Müllabfuhr und die Männer, die ihn begleiten, für ihre morgendlichen Rufe und die Geräusche der erwachenden Straße.

Danke für meine Arbeit, mein Werkzeug, meine Kräfte. Danke für Sepp, der mir seine Black & Decker geliehen, für Jens, der mir eine Zigarette geschenkt, für Elke, die mir die Tür aufgehalten hat. Danke für jedes ‚Guten Morgen – gut geschlafen?’, Danke für das Lächeln gerade eben“.

Obwohl das ‚Danke sagen‘ zum Höflichkeitsrepertoire unserer Gesellschaft gehört, kommen manchen von uns diese Danksätze vielleicht komisch vor. Ist Dankbarkeit eine vernünftige, selbstverständliche Einstellung, die unser ganzes Leben prägt? Nicht selten habe ich den Eindruck, dass dem nicht so ist, denn immer wieder treffe ich Menschen, die verlernt haben zu danken.

Verlerntes Danken

Das kann verschiedene Gründe haben. Manche haben im Laufe ihres Lebens immer wieder erfahren müssen, wie wahr das Sprichwort ‚Undank ist der Welten Lohn‘ ist. Das hat sie hart und verbittert gemacht. So deuten sie alle freundlichen, ermutigenden Erfahrungen nur pessimistisch. Sie haben immer tausend Gründe zur Klage, finden aber niemals auch nur einen Grund dankbar zu sein. Eine solche Lebenseinstellung macht krank.

Anderen fällt es schwer zu danken, weil der Gedanke ans Danken in ihnen ein Gefühl der Abhängigkeit hervorruft. Ich brauche die anderen nicht. Ich verdanke niemandem etwas, darum brauche ich auch keinem zu danken.

Manche Zeitgenossen sind jenem modernen Lebensgefühl auf den Leim gegangen, das uns vorgaukelt, dass wir alles können, vor allem aber, dass wir alles kaufen können. Wo alles bezahlt und vergolten werden kann, was man braucht, verabschiedet sich auch Dankbarkeit.

Wenn Danken so vernünftig gar nicht ist, dann auch deswegen, weil der eine oder andere moderne Menschen zu einem geschichtslosen Menschen geworden ist. Erlebtes rauscht an ihnen vorbei, geht nicht mehr in die Tiefe. ‚Aus den Augen, aus dem Sinn‘. Menschen leben so nach und nach nur noch an der Oberfläche. Wer jedoch die Kunst des Sich-Erinnerns verlernt, wer sich nie mal hinsetzt, um Erlebtes nachzudenken, verlernt schließlich auch das Danken.

Danken hat mit Denken zu tun

Immer wieder weisen uns die Texte der Hl. Schrift darauf hin, wie wichtig das ‚Sich-Erinnern‘ ist, damit nicht die Einsicht sich verflüchtigt, dass unser Leben verdanktes Leben, ein Geschenk, ist. Keiner von uns hat sich selbst das Leben gegeben. Was ich und wer ich geworden bin – mit meinen Begabungen und Stärken, meiner mehr oder weniger starken oder schwachen Gesundheit, meinem Glauben – all das gründet nicht alles in mir selbst. Trotz aller persönlichen Anstrengungen bleibt ein nicht geringer Rest, den wir anderen – und letztlich Gott – verdanken.

Sehen kann das nur, wer sich der Mühe unterzieht, sein Analphabetentum der Wahrnehmung zu überwinden: die Vernebelung unserer Augen, die sehen und doch nicht sehen, weil sie, überfüttert mit Bildern, vieles Wichtige einfach übersehen; die Unempfindlichkeit unserer Nasen, die Gestank nicht mehr umwirft und die den Duft des frisch gemähten Grases nicht mehr riechen; die Abgestumpftheit und Taubheit lärmgeschädigter Ohren; die Verkümmertheit unseres Tastsinns; die Hornhaut unseres Herzens.

Es kostet Mühe, dieses Analphabetentum zu überwinden und Danken zu lernen. Mühe, weil Danken mit Denken zu tun hat, mit überlegender Wahrnehmung, mit
Tiefenwahrnehmung.

Menschen, die denkend den Dingen auf den Grund gehen, werden erkennen, dass es in keiner Weise selbstverständlich ist, dass sie leben, atmen, fühlen und arbeiten, dass es Menschen um sie herum gibt und dass auch heute Morgen die Sonne aufgegangen ist. Sie werden sich darüber wundern.

Ich sage wundern, denn es könnte durchaus ja sein, ich wäre nicht, es gäbe keinen, der mich gern hat, die Sonne wäre nicht. Im Wesentlichen würde ja nichts fehlen: bloß ich, bloß mein Mann, meine Frau, bloß mein Freund, bloß die Sonne.

Vielleicht geht die Tiefenwahrnehmung dann auch so weit, zu wissen, einverstanden zu sein und zu bekennen: „Du Gott bist. Und du bist genug. Du hast aber gewollt, dass ich sei, und dafür hab Dank“ (Guardini).

Und: Was hielten Sie davon, anzufangen mit denkendem Danken und keinen Abend mehr schlafen zu gehen, ohne Gott, dem Herrn, für mindestens für vier Dinge Danke zu sagen?

 

P. Dr. Bernd Werle SVD