Allerseelen

Predigtimpuls

„Das Leben überlebt den Tod“

Lesungen
- Röm 14,7-9 „Wir gehören dem Herrn“;
- 1 Kor 15,51-57 „Wir werden alle verwandelt“;
- Offb 20,11-21,1 „Die Vollendung des Heils“;
- Phil 3,20-21 „Christus wird uns verwandeln in die Gestalt seines verherrlichten Leibes“
Evangelium: Joh 11,17-27

In diesen herbstlichen Tagen werden wir mehr als sonst im Jahr mit der Wirklichkeit des Sterbens konfrontiert. Die welken und abfallenden Blätter weisen uns auf das Absterben in der Natur hin. Jahr für Jahr erleben wir diesen natürlichen Wechsel von Werden und Vergehen. Auch wenn dieser Novembermonat unsere Stimmung vielleicht trübt, wissen wir doch insgeheim: das nächste Frühjahr kommt bestimmt.

Wir Menschen sind als Krone der Schöpfung ganz und gar hineingenommen in diesen Prozess von Werden und Vergehen. Doch anders als bei allem anderen Geschöpflichen kommt beim Menschen allein die Frage auf: Was kommt nach dem Tod?

Wenn wir die Erfahrung des Sterbens eines Angehörigen oder Bekannten machen müssen, reißt das eine ungeheure Lücke in unsere Lebenswirklichkeit. Dieser konkrete Mensch kehrt nicht in unser irdisches Leben zurück. Wir können nicht mehr auf seine Rückkehr warten, so wie wir im Winter voll Freude und Sehnsucht auf die Wärme des nächsten Frühjahrs und Sommers warten, oder wie wir uns darauf freuen, das der von uns geschätzte und geliebte Mitmensch von der Arbeit oder von einer Reise heimkehrt.

Ältere Menschen können rückschauend auf ihr Leben, indem sie sich auf die dabei gemachten Erfahrungen besinnen, eher begreifen und verstehen, was das Wort sagt: „Wir werden geboren, um zu sterben und wir werden sterben, um zu leben!“ Diese Aussage drückt Zuversicht aus, dass mit dem Tod nicht alles aus ist.

Während meiner Studienzeit war ich einmal mit der Pflege eines schwerkranken, alten Mitbruders betraut. Er bekam eines Tages Besuch von einem seiner Altersgenossen. Beide kamen ins Gespräch über das Leben zum Tod, und ganz unerwartet sagte plötzlich der sterbenskranke Mitbruder zu seinem Besucher: „Das Sterben wird mich auch nicht gerade umbringen!“

Diese Aussage erinnerte mich an die Gedanken des Apostels Paulus über das Sterben und die Erlösung durch Jesus Christus. Sie sind wie die Aussage meines Mitbruders von einem tiefen Vertrauen beseelt. Unser Leben ist kein Vergehen, sondern ein Verwandelt werden. Im heutigen Gedenktag „Allerseelen“ steckt das Wort „Seele“. Nach biblischem Sprachgebrauch bedeutet es „anima“ und heißt übersetzt „Leben“. Wir kennen auch die Redewendung: „Er ist (oder war) eine Seele von Mensch.“ Ist unser Leben geprägt durch den Glauben an die Verwandlung in der Auferstehung kraft der Erlösung durch Jesus Christus, so dürfen wir dem Sterben getrost in die Augen schauen. Im Glauben können wir feststellen, wir Menschen sind Lebensträger. Das Leben kommt von Gott, und es kehrt dahin zurück, woher es gekommen ist. Wir dürfen daher heute an all die vielen Menschen denken, die wir gekannt haben, mit denen wir gelebt haben, die uns viel bedeutet haben und auch an die, derer niemand mehr gedenkt. Sie alle wollen wir dem lebendigen Gott anvertrauen. Wir wollen ihm danken, dass diese Menschen mit uns gelebt haben und uns mit der Art und Weise, wie wir sie geschätzt haben, auch weiterhin nahe sind.

An diesem Tag können wir unseren Glauben an das ewige Leben bestärken, das uns Jesus Christus mit seinem Tod und seinem Auferstehen erworben hat. Unser Leben bleibt. Die Zeit, die wir auf Erden leben, wird für uns so nur Zeit, während der wir uns verwandeln lassen in die Gestalt des verherrlichten Leibes Jesu Christi.

Am Tor eines Dorffriedhofs am Niederrhein findet man folgende Inschrift: „Das Leben überlebt den Tod!“ Wenn wir die Wirklichkeit des Sterbens annehmen können als letzter Schritt, den der Mensch auf dieser Erde tut, dass ist der Sterbeprozess zu begreifen und zu verstehen als ein Hineingehen ins ewige Leben, als ein Hineinleben in die Gemeinschaft unseres Schöpfers, der uns erlöst und befreit hat zum ewigen Leben. So wird der Schritt in den Tod der Durchgang zum ewigen Leben. Wir sollten uns dabei nicht so sehr bei der Fragestellung aufhalten, wie wir uns die Veränderung unseres Leibes vorzustellen haben, entscheidend ist vielmehr, im Glauben davon überzeugt zu sein, das Leben eines jeden Menschen bleibt aufgehoben in Gottes bergender Hand. Wir haben das Leben von Gott. Was ihm gehört, lässt er nicht verloren gehen, sondern lebt in ihm.

 

P. Bernhard Seggewiß SDB - Dieser Text wurde veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Jg. 48, Nettetal 1996, S. 434 f