Mariä Geburt (F; SVD: H)

Predigtimpuls

Gleichberechtigung von Frau und Mann

Lesung: Mi 5,1-4a oder Röm 8,28-30
Evangelium: Mt 1,1-16.18-23 / Kurzfassung: Mt 1,18-23

 

Obwohl der 15. September in der Liturgie nur als „Gedenktag“ eingestuft ist, und der 8. September als „Fest“, findet Mariä Geburt eher weniger Beachtung beim katholischen Volk in Deutschland als die Schmerzhafte Mutter Gottes. In der Gesellschaft des Göttlichen Wortes liegen die Dinge anders. Der hl. Arnold Janssen (1837-1909) hatte sich 1875, nach jahrelangen Überlegungen, dazu durchgerungen, mit bescheidendsten Mitteln ein Missionsinstitut für Deutsch-sprachige im niederländischen Steyl an der Maas zu eröffnen. Der dazu sich bietende Moment war der Spätsommer nach den Schulferien. Es galt keine Zeit zu verlieren. Das sehr alte Fest Mariä Geburt ließ noch vor dem Advent daran erinnern, dass mit der Geburt der Gottesmutter die neue Ära der Heilsgeschichte angebrochen war. Die missionarisch begeisterten Gefährten des hl. Gründers vertrauten sich der unter dem Kreuz beauftragten „Mutter der Kirche“ als dem über allen Stürmen wegweisenden himmlischen „Meeresstern“ an. Der Blick auf sie verband mit dem Sendungsbewusstsein der Seelenrettung mehr die Gestalt der Schutzmantel-Madonna als ritterliche Symbolik kirchlichen Eroberungswillens. Auf den Seitenaltären der Kirche des Missionshauses St. Wendel sendet Jesus die Apostel aus, und die für Kinder- wie Erwachsenenaugen fast zu jugendlich dargestellte Himmelskönigin mit ihrem Kind auf dem Arm birgt Kinder unter dem Königsmantel. Das Jesuskind hält seine rechte Hand schützend über den betenden Kleinen. Die blonde Gottesmutter ist weder eine barocke Fürstin noch eine stolze Germanin. Die Missionsmadonna sollte vor allem die Jüngsten unter den Missionsschülern ansprechen. Doch auch den Heranwachsenden blieb sie einladend bedeutungsreich. Geheimnisvoll beugt sie aller Konfrontation vor.

 

Bis in die neueste Zeit des Ringens um die Gleichberechtigung der Frau hat man vor allem bei den Mächtigen in Politik, Wirtschaft, Kunst, Philosophie und Religion immer wieder die Bedeutung männlicher Nachfolge hervorgehoben, wenn nicht vergötzt. Wenn Frauen höchste Machtausübung oder wirtschaftliche, wissenschaftliche und künstlerische Leistung vergönnt war, gelang das meist nur auf Schleichwegen mit männlicher Unterstützung oder bei mehr aufgeklärtem Dynastieverständnis. Seit den Demonstrationen der Suffragetten um das Wahlrecht der Frauen vor knapp 150 Jahren ist in den westlich orientierten Demokratien viel erreicht worden – bis zur Forderung von Frauenquoten z. B. in der EU. Doch neben der traditionellen Männerherrschaft in vielen Ländern und Kulturen Afrikas und Asiens greift besonders in Asien ein neues Unwesen um sich. Pränatale Diagnostik hat in wenigen Jahrzehnten dazu geführt, dass in Indien und China weibliche Föten in so großem Maß abgetrieben werden, dass man von beängstigenden Prozentzahlen von männlicher Überbevölkerung ausgeht, anstatt die Geburt von Mädchen ebenso freudig zu begrüßen wie die von Stammhaltern.

 

Das Fest Mariä Geburt wird unter diesen neuartigen Umständen geradezu zu einem Mahnruf, die Würde der Frau im Sinne der Menschenrechte als entscheidend für die Zukunft der Menschheit zu proklamieren und zu verteidigen. Die Übermacht der Männer hat sich in der Geschichte der Menschheit allzu oft zerstörerisch ausgewirkt. Die Steinzeit-Menschen, die uns mehr Frauen- als Männer-Statuetten hinterlassen haben, wussten um Lebensspendung und Lebenssicherung durch die Frauen und Mütter. Die katholische Kirche vertritt dabei keineswegs nur eine archaische Lebensauffassung, wenn sie verantwortungsvolle Offenheit aller Sexualität und Erotik zur Lebensspendung anmahnt. Doch sollte sie in dem für alle Zukunft so unübersehbar wichtigen und Ausschlag gebenden Bereich die Verliebten, Verlobten, Verheirateten, Verwitweten deutlich mehr zu Wort kommen lassen, als sie es im 20. Jahrhundert getan hat. Ohne die spirituelle Würde der Ehelosigkeit um des Reiches Gottes willen in Frage zu stellen, lässt sich doch sagen, dass unverheiratete Zölibatäre in Sachen Erotik weder kompetent noch glaubwürdig erscheinen. Der traditionell kirchliche Umgang mit dem Hohen Lied der Liebe im Ersten Testament wirkt heute pathologisch lächerlich. Liebesdichtung und –Literatur berühren die Herzen der Menschen mehr als alle moralistische Gesetzgebung. Philosophen und Theologen können nur in sträflicher Vernachlässigung praktischer Psychologie daran vorbeisehen. Ohne Liebe zum Leben auch der nächsten und übernächsten Generation und froher Hoffnung für die Zukunft verarmt und verkümmert alle Liebesfähigkeit.

 

Die Umkehrung menschlicher Machtambitionen, gleich ob aus individuell narzistischen oder kollektiv ethnozentrischen, rassistischen und nationalistischen Gründen, ist das Bekehrungsziel des Gottes Israels und der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, dem Wanderpropheten aus Nazareth, der als Flüchtling in Armut geboren wurde. Dass er verkannt die Hinrichtung eines Rebellen erleiden musste, offenbart den Abgrund der Herablassung Gottes in unser Menschentum, um über alles Sinnen und Sprechen hinaus rückhaltlose Solidarität mit den Ärmsten, Kindern, Frauen, Männern beispielhaft liebend vorzuleben. Nach dem Johannesevangelium konnte er seine Mutter all denen anvertrauen und anempfehlen, die menschliches Leben im Aufblick zu ihm bestehen wollen.

 

Wir feiern Gottes Menschenfreundlichkeit, wenn wir der Geburt Jesu Christi, des Gottessohnes, in Armut gedenken. Wir feiern aber auch bereits die Erschaffung und Geburt seiner Mutter, der kirchliche Theologie einzigartige Privilegien aus Gottes Gnade zuerkannt hat. Die Feier der Geburt dieser Gottesmutter und geistlichen Mutter aller, die Jesus nachfolgen, wird in unserer Zeit zur Anerkennung lebensnotwendiger Gleichberechtigung von Mann und Frau. Nur liebende Verantwortung von Mann und Frau füreinander und die Kinder, als Geschenk der Liebe begrüßt, kann die Menschheit vor Versklavung an technische Machbarkeit bewahren. Wo Mädchen ebenso willkommen sind wie Jungs, dort kann die Gottesherrschaft, von der Jesus spricht, Wurzeln schlagen und dort wird die Zuversicht weiterleben, dass Gott unvorstellbar Großes und Menschenwürdiges mit allen vorhat, die von Ihm und seinem Christus das Heil der Welt erwarten.

 

P. Franz-Günther Gessinger SVD