2. Adventssonntag (B)

Predigtimpuls

„Barriere freier Zugang“ zu Gott

1. Lesung: Jes 40,1-5.9-11
Antwortpsalm: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 2 Petr 3,8-14
Evangelium: Mk 1,1-8
Zum Kantilieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Die Botschaft der Stolpersteine 

Aus der Erfahrung, dass Menschen immer wieder Barrieren zueinander aufbauen, dass sie wegen ihrer Herkunft, Sprache oder Kultur und Religion verfolgt wurden und werden, entstehen Hindernisse, über die man dann irgendwann selber stolpert. Dass wir heute schreckliche Ereignisse, die vielen Menschen das Leben kosteten, nicht vergessen, sondern darüber stolpern sollen, ist das Anliegen der weit verbreiteten „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig. Sie sollen an das Schicksal derjenigen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die Stolpersteine gelten so als das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Ein Projekt, das nicht unumstritten ist, aber meines Erachtens den damals zu Nummern degradierten Menschen wieder einen Namen verleiht, eingelassen in das Pflaster einer Straße oder Platzes. Man muss sich schon bücken, um die Namen lesen zu können; das heißt mehr noch, sich herunterbeugen. Sich verbeugen vor diesen Menschen und ihrem Schicksal. Es macht aber auch bewusst, wie sehr Menschen in die Irre gehen können, sich verfehlen können gegenüber Gott und den Menschen – bis in unsere Zeit, in der man sich immer noch oder wieder auf Gott beruft, indem man Menschen foltert und umbringt. Und abermals sieht sich die Welt ohnmächtig und hilflos, einem solchen Treiben ein Ende zu bereiten. Ideologien und politisch-wirtschaftliche Interessen scheinen mächtiger zu sein als eine den Menschen achtende und wertschätzende Moral. Es bleibt vieles zu begradigen und auszugleichen.

Die eigene Geschichte – auch als Erfahrung von Versagen und Schuld – aufarbeiten! „Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen“ (Mk 1,5). Sich der eigenen Begrenztheit und des eigenen Versagens stellen – einen Neuanfang wagen. Zog wirklich „ganz Judäa und Jerusalem“ zu Johannes hinaus? Wohl kaum! Für die Frommen, die Gerechten, die Gesetzestreuen, war doch alles in Ordnung. Wer sich ändern musste, das waren doch die anderen. Wie sehr stimmt das doch oft mit heutiger Auffassung überein: immer sind die anderen schuld; immer müssen sich zuerst die anderen ändern. Das gilt im persönlichen, aber auch im öffentlich-politischen Bereich. Wir erfahren das besonders, wenn wir von der Bewältigung der Vergangenheit sprechen. Wie viel Unrecht, Unglück und Elend ist im Namen Gottes angerichtet worden – und wird immer noch angerichtet. 


„Vor Gott sind alle Menschen bleich“ 

…ist ein Buchtitel, dem ein Missverständnis zugrunde liegt. Und es gibt viele solcher Beispiele von Hörfehlern und falschem Verstehen. Aber ist dies nicht auch ein treffender Hinweis dafür, wie oft wir andere und auch Gott missverstehen – und danach dann unser vermeintlich richtiges Handeln ausrichten?  

Einige Erzählungen in der Bibel könnten dazu verleiten, Gott als den vom Menschen enttäuschten Schöpfer zu sehen, dessen Rechnung nicht aufgegangen ist. Der Mensch hat sich des Vertrauens und des Auftrags Gottes nicht würdig erwiesen, ja sogar dagegen aufgelehnt: er wollte selbst sein wie Gott; alles selbst bestimmen und in der Hand halten. So pervertierte er den Auftrag zur Erhaltung der Schöpfung in pure Ausbeutung und Vernichtung. Statt sich um den anderen zu sorgen, den Bruder zu hüten, hat er durch Unterwerfung und Abhängigkeit Klassen errichtet, in denen es „die da oben“ und „die da unten“ gibt. Bis hin zu der Behauptung, das alles sei so von Gott eingerichtet und gewollt. Vor Gott sind aber alle Menschen gleich – und somit darf es auch keine Barrieren geben. 


Gott will die Welt und den Menschen nicht zerstören 

Nach menschlichem Kalkül bliebe dann einem solch enttäuschten und hintergangenen Gott nichts anders übrig, als sein Geschöpf zu vernichten. Diese menschliche Reaktion nun wird, wie schon angedeutet, öfter in Gott hineinprojiziert: ein solcher Gott schlägt drein und züchtigt. Aber es ist nicht Gott, der richtet und bestraft, sondern das falsche und böse Handeln des Menschen selbst hat negative Folgen: Böses tun führt nie zum Guten; es zieht immer wieder Böses nach sich - und damit ebenfalls den Täter. Gott dagegen ist barmherzig und gibt dem Menschen eine Chance zur Umkehr. 


Unsere Aufgabe und Chance ist: zu trösten, nicht zu vertrösten. 

So lässt Gott etwa dem geschundenen und zerstörten Israel durch Jesaja sagen: Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Redet Jerusalem zu Herzen und verkündet der Stadt, dass ihr Frondienst zu Ende geht, dass ihre Schuld beglichen ist… (Jes 40,1-2a). Dieser Zuspruch Gottes soll einen Neuanfang ermöglichen – nicht zurückschauen, sondern nach vorne, vertrauend in Gottes Barmherzigkeit, die all unsere Vorstellungen übersteigt. Er traut uns erneut etwas zu: Bahnt dem Herrn, Gott, einen Weg – zu den Menschen heute und umgekehrt zu Gott hin. Zu denen, die Schuld auf sich geladen haben. Zu denen, die immer ausgeschlossen werden. Zu denen, die anders sind als du und ich. Zu denen, die die Fähigkeit verloren haben, ihr Leben, ihren Besitz, ihre Talente mit anderen zu teilen. Dann geht es nicht um ein billiges Vertrösten auf eine zukünftige, vielleicht bessere Welt. Ein solcher Trost gibt heute schon neuen Mut und neue Kraft zum Aufbruch. 


Gesetze und unabänderliche Vorschriften als Barrieren 

Nun gab und gibt es immer wieder Menschen, die sich darauf einlassen wollten. Aber anstatt darin von den Schriftgelehrten, Priestern und Frommen ermutigt zu werden, legte man ihnen Steine in den Weg: du musst dies oder das tun; dies oder das darfst du nicht tun; und wenn du dies tust oder nicht tust, wirst du irgendwann einmal belohnt oder bestraft werden. Man lenkt so die „Moral“ in Richtung eines Geschäftes mit Gott. Es geht nicht mehr um das Verhältnis von Liebe und Barmherzigkeit von Schöpfer und Geschöpf, sondern um Geschäftspartner – auch wenn auf der menschlichen Seite noch so viel an „Frömmigkeit“ dabei war. Man baute so immer mehr Barrieren auf, um zu Gott bzw. einem erfüllten Leben zu gelangen. Jesaja dagegen schmückt seine Vision von Gott und seinem Handeln ungemein ansprechend aus: Jerusalem, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme, fürchte dich nicht! Sag den Städten in Juda: Seht, da ist euer Gott (vgl. Jes 40,9b). Hier gelten nicht mehr Angst oder Vorsicht oder Berechnung, sondern überschäumende Freude – trotz allen Versagens und vieler Irrtümer. Das macht Mut. Das gibt Kraft. 


Erfahrung eines Neuanfangs

Vielleicht ist das ja ein wichtiger Impuls und eine hilfreiche Ansage an uns Menschen heute, vor allem an die vielen Ausgeschlossenen, Geschundenen, Betrogenen: lasst euch zusagen: Bei Gott gibt es einen Neu-Anfang. Nicht nur ihr wollt Veränderung und ein Leben in Gerechtigkeit, in Frieden und in Fülle – auch Gott sehnt sich danach, dass alle Menschen gerettet werden. Unsere Aufgabe ist es, diesem auf uns zukommenden Gott einen Weg zu bereiten. Freilich bedeutet das für uns ein ehrliches Umdenken und Umkehren. Wir sollen nicht klagen über im Laufe der Zeit errichtete Barrieren, sondern sie abbauen, Wege eröffnen, neue Wege bauen. Bereitet dem Herrn einen Weg!


P. Heinz Schneider SVD