Hochfest der Geburt unseres Herrn, In der hl. Nacht

Predigtimpuls

Ich bin geliebt.

1. Lesung: Jes 9,1-6
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Tit 2,11-14
Evangelium: Lk 2,1-14
Zum Kantilieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Eines der - in meinen Augen - schönsten Weihnachtslieder, stammend von dem evangelischen Theologen Paul Gerhardt, lässt uns mit folgenden Worten an den weihnachtlichen Tagen, und erst recht jetzt in der Feier der Heiligen Nacht, zur Krippe des göttlichen Kindes hintreten. Sie sind zu dieser Feier gekommen, haben sich lange darauf gefreut, im Kreis der Familie diesen nächtlichen Weg zur Kirche zu gehen, voller Erinnerungen an längst vergangene Jahre, voller Sehnsucht nach einer heilen Welt, die ja besteht, trotz all der Gewalt, all dem Chaos, den Katastrophen, Sorgen und Problemen unserer Tage.

Es kann aber auch sein, dass Sie einfach um des lieben Friedens willen mitgegangen sind, damit kein Streit entsteht. Vielleicht entdecken Sie dann auch: Irgendwie arbeitet im Advent und an Weihnachten etwas in uns, eine Sehnsucht, ein Bauchgefühl, Spuren der Kindheit, ja ich möchte sagen: Gott rührt uns an, ob wir es so sehen, zugeben, oder nicht. Er ist am Werk. Er lockt und führt uns in seine Gegenwart. 

Auch wenn wir uns gerade noch gestresst fühlten von den Vorbereitungen, eigentlich müde waren von der weiten Reise, vom Trubel des Besorgens der letzten Geschenke, jetzt gilt und stimmt es, was das Lied in seiner ersten Strophe besingt:

„Ich steh an deiner Krippe hier, o Jesu, du mein Leben.
Ich komme, bring und schenke dir, was du mir hast gegeben.
Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn. Herz, Seel und Mut,
nimm alles hin und lass dir`s wohl gefallen!“


Der gläubige Dichter dieses Textes legt uns Worte in den Mund, die uns einreihen in die Schar der Hirten und Weisen, die damals nach Betlehem aufgebrochen sind, die der verkündeten Botschaft glaubten und Maria, Josef und das Kind in der Krippe fanden. 

Und wir stehen da mit unserem Leben, unserem guten Willen, der Situation in der wir uns befinden, dem Glück oder dem Scheitern, das uns gerade umtreibt. Wir stehen da und tun uns vielleicht sogar schwer, dem Göttlichen etwas mitzubringen. Vielleicht tut es da gut, wenn wir einfach sagen: Jesus, nimm mich, wie ich bin! Du weißt, was mit mir los ist! Du verstehst mich auch mit meinen Zweifeln, meiner Gleichgültigkeit, meinem Wollen und oft nicht können! Aber das Wichtigste ist: Ich darf da sein. Ich darf bei Dir sein: mit den Höhen und Tiefen. Du urteilst nicht. Du bewertest mich nicht. Du brauchst keine Erfolgszahlen und keinen idealen Typ: Du liebst mich und lässt mich gelten, wie ich bin, geworden bin, derzeit bin - auch wenn ich mit mir selber nicht zufrieden bin - und erst recht nicht mit dem, was ich so treibe.

Die fromme Betrachtung, das meditierende Nachdenken, das Sich-Freuen darüber, dass Menschen Gottes Heil schauen dürfen, drückt all diesen eine Kleinigkeit in die Hand, die sie bei der Begegnung mit dem Kind und seinen Eltern schenken, um dadurch ihr Mitfühlen, ihre Freude, ihre Mitsorge und den Willen auszudrücken: Ich will nicht mit leeren Händen dastehen. 

Bis heute überlegen wir uns, wenn wir einen Besuch machen, uns mit jungen Eltern über die Geburt ihres Kindes freuen, zu einem Geburtstag, einer Vernissage, einem Jubiläum eingeladen sind, was wir mitbringen. Genauso machen wir es am Weihnachtsfest, zum Hochzeitstag, zum Jahrestag des Kennenlernens …: Womit können wir eine Freude bereiten?

Dem göttlichen Kind in der Krippe bringen wir unser Staunen über seine Menschwerdung, darüber, dass Gott in unserer Haut steckt, dass er unser mensch-liches Leben teilt, dass er uns ganz nahe ist, uns nicht von oben herab behandelt, sondern einer von uns geworden ist. 

Weihnachten, die Feier von Jesu Geburt, will uns die Erfahrung schenken: Er ist ganz persönlich für mich da. Es ist, als ob er auf mich gewartet hätte. Er umfängt mich mit seiner Liebe und ich bin für einen Augenblick, einige Momente, in meinem Glück, in der geschenkten Liebe am Ziel.

Dabeihaben darf ich mich, und all die Menschen, mit denen ich das Leben teile, die mir an einem Tag wie heute ganz besonders wichtig sind, aber auch all jene, denen gegenüber ich meine Ohnmacht spüre, denen ich mehr Geborgenheit, mehr Frieden, mehr Freiheit und weniger Terror, Hass und Krieg, wünsche. Mit-bringen darf ich, woran ich zu knabbern habe, was mich stresst und zwischen¬durch richtig herunter zieht und fertig macht.

Unser Lied fährt fort:

„Da ich noch nicht geboren war, da bist du mir geboren
und hast mich dir zu eigen gar, eh ich dich kannt, erkoren.
Eh ich durch deine Hand gemacht, da hast du schon bei dir bedacht,
wie du mein wolltest werden.“

Gott will unbedingt mit mir zu tun haben. Dass es mich gibt, dass ich an einem konkreten Platz in dieser Welt stehe, an einem bestimmten Ort geboren bin, Menschen begegne, mit ihnen das Leben teile, dass ich Werte in mir trage, Sinn entdecken und Glauben leben will, ist Gottes Geschenk an mich. Er will „mein“ werden. Er will sich mir schenken. Er verknüpft sich mit meiner Persönlichkeit und meiner Lebensgeschichte. Ja, Gott hat sich in mich, in uns Menschen verschaut, er hat uns lieb gewonnen. Immer neu „bandelt“ er mit uns an. 

Diese seine Liebe hört nie auf, nicht einmal mit dem Sterben ist sie zu Ende. Vielmehr werden wir sie dann sogar noch deutlicher erfahren und verstehen. Dass das so ist, mag uns an diesem Abend/in dieser Nacht, in der uns liebe Menschen so sehr fehlen, wo wir unsere Verstorbenen noch viel mehr zu uns wünschen, als im Alltag des Lebens, ein wenig trösten.

Die dritte Strophe ist für mich die schönste: 

„Ich lag in tiefster Todesnacht, du warest meine Sonne.
Die Sonne, die mir zugebracht Licht, Leben, Freud und Wonne.
O Sonne, die das werte Licht des Glaubens in mir zugericht,
wie schön sind deine Strahlen!“  

Wir kennen alle Schatten in unserem Leben: Ängste, Krankheit und Lei¬den, Scheitern, Sinnlosigkeit, Getrieben-sein, das Sterben-müssen, das eigene Loslassen in unterschiedlichsten Situationen. Wir wissen auch, wie tröstlich in solcher Situation die Strahlen der Hoffnung und des Glaubens sein können, wie Zukunft verleihend Ostern, der Glaube an die Auferstehung des Herrn und an den Anteil an seinem Ostersieg, den er uns schenkt, wirken können. Für all dies gilt: Der Retter ist da. Sein Licht strahlt in die Dunkelheit meines Lebens hinein.

So wünschen und erbitten wir uns heute gegenseitig, dass die vierte Strophe des Liedes für uns Wirklichkeit wird, dass wir uns von Gottes unfasslicher Liebe ergreifen lassen, über seine Zuneigung zu uns staunen, und deshalb vielleicht mit Tränen in den Augen singen oder denken oder uns wünschen: 

„Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen;
und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen.
O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer,
dass ich dich möchte fassen!“

Uns allen schenkt sich Gott - in dieser Nacht, jeden Tag, durch die Liebe von Menschen. Und er will sich durch meine und deine Liebe in dieser Welt spüren lassen.

Ich wünsche Ihnen und mir solch überwältigende und bereichernde Erfahrung - mitten in der konkreten Situation unseres Lebens: Ich bin geliebt. Amen.

Pfr. Albert L. Miorin