30. Sonntag im Jahreskreis (B)

Predigtimpuls

Der Priester – eingesetzt zum Dienst vor Gott für das Volk Gottes

1. Lesung: Jer 31,7-9
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Hebr 5,1-6
Evangelium: Mk 10,46-52

Der Priester – eingesetzt zum Dienst vor Gott für das Volk Gottes

Die Älteren unter uns haben noch den willkürlichen Machtmissbrauch eines totalitären Regimes aus eigener Erfahrung erlebt. Die Jüngeren können Ähnliches fast jeden Tag auf den Bildschirmen des Fernsehens erfahren, sei es in Nordkorea, in China, in Indonesien, in verschiedenen Ländern Afrikas, z. B. im früheren Zaire und auch in Ländern Südamerikas. Darum halten wir in den meisten Ländern Europas die demokratische Regierungsform, in der die Führer des Volkes in einer freien Wahl bestimmt werden, für die beste. Aber selbst in einer Demokratie sind wir alle sehr kritisch gegenüber jeder Ausübung von Autorität. Diese Haltung nehmen wir nicht nur dem Staat gegenüber ein, sondern auch gegenüber der Kirche. Diese Einstellung führte vor einigen Jahren sogar zur Formulierung des Schlagwortes: Jesus – ja; Kirche – nein! Die so reden, glauben also, dass es möglich ist, ein echter Nachfolger Jesu zu sein ohne die Vermittlung der Kirche, besonders ohne die Zwischenschaltung der kirchlichen Hierarchie von Papst, Bischöfen und Priestern im Verhältnis des einzelnen Christen und Gott. Dem widerspricht aber die Lehre Jesu, wie wir sie im Neuen Testament finden, ganz eindeutig.

So erwähnt der Verfasser des Hebräerbriefes in der Lesung, die wir eben gehört haben, ganz deutlich, dass Jesus die Hohepriesterwürde von Gott dem Vater verliehen wurde. Er wurde für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott, um Gaben und Opfer für die Sünden darzubringen. Durch sein Erlöserleiden bis hin zum Kreuzestod, aber auch durch seine Auferstehung und Himmelfahrt hat er die Versöhnung zwischen Gott und uns sündigen Menschen ein für alle Mal möglich gemacht. Damit aber die Frucht seiner Erlösungstat allen Menschen aller Zeiten und Orten auch nach seiner Himmelfahrt zugänglich gemacht werden kann, hat er Menschen in seinen Dienst genommen, indem er sie zu seinen Stellvertretern und zu Ausspendern seiner Gnadengaben bestellte, d.h. zu Bischöfen und Priestern, die in seinem Namen handeln.

Einige der bekannteren Zitate aus dem Neuen Testament sollen dies belegen. So sagte er zu den Aposteln: Wie mich der Vater gesandt, so sende ich euch. Im Hinblick auf die Verkündigung der Lehre vom Reich Gottes sagte er: Wer euch hört, der hört mich. Wer mich hört, der hört den, der mich gesandt hat. Und als er beim letzten Abendmahl über Brot und Wein sprach, dies ist mein Leib, dies ist mein Blut, und sich so seinen Aposteln als Speise und Trank hingab, da fügte er hinzu: Tut dies zu meinem Gedächtnis. Am Abend des Auferstehungstages, als er den verängstigten Aposteln hinter verschlossenen Türen erschien, da sagte er zu ihnen, nachdem er sie angehaucht hatte: Empfanget den Heiligen Geist. Welchen ihr die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie nachgelassen und welchem ihr sie behalten werdet, denen sind sie behalten. Und kurz vor seiner Himmelfahrt gab er ihnen den sogenannten großen Missionsbefehl: Geht hinaus in alle Welt und macht alle Völker zu meinen Jüngern, indem ihr sie taufet auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und sie alles lehrt, was ich euch geboten habe.

All dies zeigt, dass ohne den Dienst von Menschen, die von Gott als Bischöfe und Priester zu Mittlern zwischen ihm und den Menschen berufen wurden, deren Heil zumindest gefährdet ist. Angesichts der Entfremdung so vieler unserer Mitmenschen von der Kirche kommen wir nicht umhin, uns zu fragen: Warum tun sich heute so viele Menschen so schwer, den Mittlerdienst und die damit verbundene Autorität der Bischöfe und Priester anzuerkennen? Könnte der Grund dafür sein, dass dieser Mittlerdienst nicht in der rechten Art und Weise ausgeführt wird? Autorität birgt leider die Gefahr der Überheblichkeit und des Amtsmissbrauches in sich. Selbst die Apostel waren nicht immun gegen diese Gefahr. So schickten die Zebedäussöhne Johannes und Jakobus ihre Mutter vor, um von Jesus die besten Plätze im Himmelreich für sich zu erbitten. Und die anderen Apostel ärgerten sich darüber. Warum wohl? Vielleicht weil sie diese Plätze für sich beanspruchen wollten? Freilich weist Jesus dieses Ansinnen zurück und sagt, dass es bei ihnen nicht so sein soll wie bei irdischen Machthabern, die über ihre Völker Gewalt ausüben. Nein, wer unter ihnen groß sein will, der muss der Diener aller werden – und zwar nach seinem Beispiel. Und er ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern um selbst zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösepreis für viele. Wenn nur Bischöfe und Priester ihre Mittlertätigkeit in Demut und Liebe ausüben, weil sie sich ihrer eigenen Sündhaftigkeit bewusst sind und auch wissen, dass sie zur Erlangung ihres eigenen Heils der Vermittlung anderer Priester bedürfen, dann dürfte es auch den Gläubigen nicht allzu schwer fallen, ihre gottgegebene Autorität anzuerkennen und ihren Dienst anzunehmen.

Aber vielleicht versagen in dieser Hinsicht zu viele von uns Priestern und auch Bischöfen hier bei uns. Es scheint, dass sich die Priester und Bischöfe in den jungen Kirchen der sogenannten Dritten Welt im Verständnis und der Ausübung ihres Amtes leichter tun.

Einer meiner Mitbrüder auf den Philippinen, mit dem ich lange Jahre zusammengearbeitet habe, schickte mir einmal ein Foto und zu diesem Foto schrieb er im Begleitbrief: Kardinal… empfängt am Ende des Bibelgrundkurses, den er selbst mit seinen vier Weihbischöfen und weiteren 39 Priestern, zumeist Dekanen aus der Erzdiözese … und sechs benachbarten Diözesen, absolviert hat, die Heilige Schrift aus den Händen von P…., dem Kursleiter, der Regionaldirektor das Bibelapostolat für ganz Mindanao ist. …Das Bild demonstriert klar und deutlich seine Demut, Menschenfreundlichkeit und vorbildliche Bereitschaft zum Dienen, zumal in der glaubwürdigen Verkündigung der Frohen Botschaft. …Es ist eine wahre Freude, mit ihm und unter seiner Leitung als Ordenspriester und Missionar wirken zu dürfen.

Es scheint, dass solche Beispiele in den Jungen Kirchen es für viele junge Männer erstrebenswert macht, Priester zu werden und ihren Landsleuten zu dienen. Während bei uns in Deutschland Priesterberufungen immer weniger werden und die Schmerzgrenze bald erreicht ist – wenn sie nicht schon überschritten ist! -, kommt man in vielen Ländern der Dritten Welt mit dem Bau von immer neuen Priesterseminaren nicht nach, weil die vorhandenen Seminare aus allen Nähten platzen.

Aber – und das ist sehr wichtig – trotz der Zunahme von Priester- und Ordensberufen sind die jungen Ortskirchen doch nicht klerikalisierte Kirchen, weil sich nämlich dort die Laien ihrer Verantwortung für den Aufbau einer lebendigen Kirche bewusst sind und sich – oft nach intensiver Vorbereitung durch religiöse Kurse usw. – während ihrer Freizeit tatkräftig dafür einsetzen. Sie haben kein kirchliches Versorgungsdenken, wobei man nur Objekt, d.h. Empfangender der Gnadengaben durch Priester ist. Sie wissen sich als Subjekt, d.h. als Handelnde, die zusammen mit den Priestern das Reich Gottes auf Erden aufzubauen versuchen. Da gibt es dann keinen Gegensatz… Laien – Priester, sondern sie alle fühlen sich als die eine Kirche Christi.

Freilich können Sie mir entgegenhalten: Wir sind nicht auf den Philippinen oder in einer anderen jungen Kirche; wir sind in Deutschland, da sind die Verhältnisse anders. Das weiß ich natürlich auch. Aber lernen könnten wir von ihnen allemal. Vielleicht zwingt uns der Rückgang von Kirchensteuereinnahmen sowieso bald, etwas von der Bürokratie abzubauen, damit es wieder zu mehr „Bürgernähe“ zwischen der Hierarchie und den sogenannten einfachen Gläubigen kommt, allem zu Nutzen. Amen.

[Anmerkung der Redaktion: Die von P. Lehmeier verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1997; S. 390-392]

 

P. Dr. Ludwig Lehmeier SVD