Pfingstsonntag (H) - Am Tag

Predigtimpuls

Der Geist Gottes

1. Lesung: Apg 2,1–11
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Kor 12,3b–12
Oder: Gal 5,16–25
Evangelium: Joh 20,19-23
Oder: Joh 15,26-27; 16,12-15
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de

 Der Geist Gottes
Zu Pfingsten preisen wir in Liedern und Hymnen das Kommen des Hl. Geist und sein Wirken in uns Menschen und in der Welt. Glauben wir es auch oder singen wir es nur?


Geist-vergessen
Ein Erlebnis hat sich mir tief eingeprägt. Wir Studenten der Gregoriana (Päpstliche Universität in Rom) wurden in der Propaganda (jetzt Kongregation für die Evangelisierung der Völker) empfangen. Unser Gespräch mit dem Erzbischof kreiste um Lateinamerika, wo die große Mehrheit der Katholiken wohnt. Der Erzbischof sah schwarz. Der Priestermangel mit den verheerenden Folgen für die Seelsorge ist nicht zu beheben. Das bevorstehende Konzil kann auch keine Priester herbeizaubern. Schon wendeten wir uns zum Gehen, da rief uns der Erzbischof zurück, er habe das Wichtigste vergessen: Den Hl. Geist! Nicht die Propaganda, auch nicht das Konzil leiten die Kirche, sondern Jesus und sein Geist, den er uns allen geschenkt hat. Er entschuldigte sich, dass er auf den Hl. Geist vergessen hat. Er wirkt und er wird auch in Lateinamerika wirken.


… und er wirkte
Nach dem Konzil geschah in Lateinamerika ein Wunder des Geistes. Was in Europa nicht einmal in kleinen Ländern möglich war, geschah in diesem großen Subkontinent: Die Bischöfe aller Länder und Diözesen versammelten sich und ergriffen Maßnahmen, um die Anregungen des Konzils zu verwirklichen. Durch die Bischöfe ermutigt, begannen die Menschen, die Bibel zu lesen. Es waren nicht die Reichen, sondern die Armen – die vernachlässigten Kleinbauern ohne Priester in abgelegenen Gegenden und die verarmten Bewohner in den Elendsvierteln, auch sie ohne Priester. Sie lasen die Bibel, erkannten darin ihre Situation und ihr Leben. Sie entdeckten die Frohe Botschaft für sich, sie begannen, die „Kirche“ in ihre Hand zu nehmen und taten sich zu christlichen Gemeinden an der Basis zusammen. Eine Bewegung entstand, die den ganzen Subkontinent erfasste. Theologen kamen, studierten dieses Phänomen und schufen eine Theologie aus dem Blickpunkt der Armen. Diese Phänomene, Kirche der Armen und Theologie der Armen, breiteten sich wie ein Pfingst-Feuer aus (siehe Apostelgeschichte in der Lesung) und brachten die ganze christliche Welt zum Staunen. Papst Johannes Paul II. nannte sie Vorreiter und Modell für die ganze Welt.
Der Erzbischof an der Propaganda hatte Recht, Herr der Kirche ist der Geist Jesu. Er wirkt, wo man ihn nicht vergisst, sondern ihm Raum gibt.


Der Geist erneuert die Welt
Die Päpste haben zu einer Neu-Evangelisierung aufgerufen, um das schlaff gewordene Christentum wieder zu beleben. Der Verweis auf die Statistik, dass die Katholiken über eine Milliarde sind, ist kein Trost, wenn sie Geist-vergessen leben.
Wir alle leben so, wenn wir nicht eine religiöse Erfahrung machen, wie es in Lateinamerika der Fall war. Die Frauen und Männer in Jerusalem, wie die Apostelgeschichte berichtet, machten eine solche Erfahrung.
Die Bibel spricht in Bildern: Feuerzungen, Sturm, auch zarter Hauch, Reden in Sprachen, verschlossene Türen. Die Feuerzungen lassen sich auf alle Menschen nieder, als Sturm rüttelt er die Menschen auf. Es kann nur ein Hauch sein (Evangelium), eine Erinnerung an den Lebenshauch, den Gott den Menschen einhaucht.
Eine religiöse Erfahrung lässt uns nicht kalt, die Feuerzungen beginnen zu brennen. Wenn viele Menschen (siehe Lateinamerika) die Erfahrung des Glaubens machen, entsteht ein Sturm, dem niemand und nichts widerstehen kann.
Wie sieht bei mir und bei uns eine religiöse Erfahrung aus? Im Leben setzen wir unsere Fähigkeiten ein, um zu lernen und im Beruf bestehen zu können. Im Glauben lernen wir, wenn wir (gleich den Christen in anderen Ländern) uns für ihn interessieren und ihn aus den Quellen kennen lernen. Wer die Bibel liest, womöglich in Gemeinschaft, wird erfasst, er hört auf, religiös gesehen ein „Analphabet“ zu sein. Und noch mehr: Er lernt sich selbst kennen und sieht die Ereignisse der Welt mit neuen Augen. Die Feuerzungen beginnen zu „brennen“ und der Geist, den uns Jesus zu-haucht, kann Mut einflössen, wie es bei den Frauen und Männern in den Bibellesungen geschehen ist.


Eine neue Welt
Der Geist Gottes wirkt in der Welt und erneuert sie. Gott handelt anders, als wir uns vielfach vorstellen. Er greift nicht „von oben“ ein, sondern tut es leise – durch uns Menschen, wenn wir aus seinem Geist heraus handeln und leben.

 

P. Dr. Jakob Mitterhöfer SVD, Maria Enzersdorf / Österreich