15. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Christsein – Selbst-bewusstes Leben

1. Lesung: Jes 55,10-11
2. Lesung: Röm 8,18-23
Evangelium: Mt 13,1-23

Vorbemerkung: Die am Anfang und am Ende dieses Predigtvorschlags erzählten Episoden sind entnommen aus W. Hoffsümmer, Kurzgeschichten 3

1. Die Saat muss auf gehen
Am ersten Sonntag nach seiner Einführung hielt der neue Pfarrer eine zündende Predigt, von der alle begeistert waren. Am Sonntag darauf waren die Leute schon sehr gespannt – aber der Pfarrer hielt die gleiche Predigt wie am Sonntag vorher. Ebenso am dritten, vierten und fünften Sonntag. Schließlich platzte einem Zuhörer der Kragen: „Warum predigen Sie immer das gleiche?“ Die Antwort des Pfarrers lautete: „Warum lebt Ihr noch genauso wie vor sechs Wochen? Wenn Ihr das in die Tat umsetzt, was ich bisher gesagt habe, dann sage ich Euch etwas Neues!“

Die unterschiedlichsten Gedanken gingen mir durch den Kopf, nachdem ich diese Episode gelesen hatte: Ganz schön bequem macht sich’s der Pfarrer – Hat der Pfarrer ein Glück: die Leute scheinen ihm aufmerksam zuzuhören. – Ob er nicht zu anspruchsvoll ist, wenn er erwartet, dass die Leute ihr Leben ändern wegen seiner Predigt? Beim letzten Gedanken erinnere ich mich an die Worte des Propheten Jesaja: „So ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will, und erreicht all das, wozu ich es ausgesandt habe.“ Selbstbewusste Worte des Propheten. Nicht minder selbstbewusst klingen die des Pfarrers. Und ich frage mich: Ist das nicht der springende Punkt - unser christliches Selbstbewusstsein? Es spielt eine so wesentliche Rolle, ist so wichtig und prägend für unser Christsein in Kirche und Welt. Stellt sich die Frage: Wie ist es um mein Selbstbewusstsein bestellt?

2. Gottes Geist – ausgesät in uns
Wessen müssen wir uns überhaupt bewusst sein? Auf den ersten Blick eine schwierige Frage, weil sie eine komplexe Antwort zu erfordern scheint. Andererseits eine recht einfache Frage, weil sich die Antwort reduzieren lässt auf eine Aussage aus dem Römerbrief, die wir der zweiten Lesung entnehmen können: Wir müssen uns bewusst sein, dass wir als (Erstlings-)Gabe den Geist empfangen haben. Knapper und zugleich umfassender lässt sich der Kern christlichen Selbstverständnisses, in dem christliches Selbstbewusstsein wurzelt, nicht ausdrücken. Wir sind Be-geist-erte, wir müssen es sein, wollen wir uns zu Recht Christen nennen. Spüren wir nichts vom Geist Gottes in uns, oder lassen wir nichts von ihm spürbar werden, dann verlieren wir den Boden unter den Füßen. Doch wer keinen Boden unter den Füßen hat, kann schwerlich stehen, einen Standpunkt finden und vertreten – und das im doppelten Sinn des Wortes. Eine zündende Predigt hat der eingangs erwähnte Pfarrer gehalten – wie hätte er solches vermocht ohne Initialzündung? In ihm musste vorher ein Funke entflammt worden sein, er musste begeistert sein, um begeistern zu können. Und offensichtlich hatte er etwas zu sagen, sonst hätte man ihm vielleicht beim ersten Mal zugehört, aber dann kaum je wieder. Und das, was er zu sagen hatte, scheint lebensnah gewesen zu sein, scheint die Hörer betroffen zu haben. Wäre dem nicht so gewesen, hätten die Leute rasch abgewinkt und der Pfarrer wiederum hätte nicht den Anspruch erheben dürfen auf praktische Umsetzung seiner Worte im Leben der Hörer. Dass er etwas zu sagen hatte, etwas, das hörenswert und ansprechend war, deutet darauf hin, dass dieser Pfarrer von einem guten Geist beseelt war, der ihn führte, so dass er wusste, wo’s lang geht, und der ihm Halt gab, so dass er überzeugt und überzeugend seinen Standpunkt vertreten konnte.

Menschen hören gerne auf das, was solche Menschen sagen. Oft warten sie sogar darauf. Auch auf das, was Christen zu sagen haben. Denn ungeachtet aller Kritik an der Kirche, ist die Meinung christlicher Zeitgenossen immer wieder gefragt. Nach wie vor besteht Interesse an Information in kirchen-, religions- und glaubensinternen Fragen, wie auch an christlich orientierter Stellungnahme zu gesellschaftlichen, politischen oder kulturellen Inhalten. Wenn wir wollen, dass dies auch in Zukunft so bleibt, dann müssen wir über-zeugen durch klare, fundierte, kompetente, richtungsweisende und motivierende Worte, die eingebettet sind in ein dem Reden entsprechendes Leben.

Ich weiß nicht, welche Predigt der Pfarrer gehalten hat, ob es eine hochtheologische, ein politisch akzentuierte oder von tiefer Spiritualität geprägte war. Aber das ist auch unerheblich. Echt muss es sein. Echt muss auch der sein, der was sagt. Und echt heißt in dem Fall nichts anderes als sich seiner bewusst, selbstbewusst.

3. Gottes Geist macht selbstbewusst
Zwei Beispiele: in der Pfarrei, in der wir wohnen, arbeitet eine Pastoralassistentin. Der Pfarrer und sie teilen sich Arbeit und Verantwortung in der Seelsorge. Jeder hat seine Aufgaben. Zu denen der Pastoralassistentin zählte in den beiden vergangenen Jahren die Gräbersegnung auf einem der gemeindlichen Friedhöfe an Allerheiligen. Ein Umstand, der die Gemüter der Anwesenden nicht gerade wenig erregte. Was folgte, war die Anfrage an den Pfarrer, diese Aufgabe doch bitte wieder auf allen Friedhöfen selbst zu übernehmen. Die Reaktion des Pfarrers: sachliche Information über die Aufgaben, über Rechte und Pflichten eines pastoralen Mitarbeiters. Per einem dem Pfarrbrief beigefügten Rundschreiben teilte er allen Interessenten mit, was das Zweite Vatikanische Konzil in dieser Angelegenheit zu sagen hat. Sachlich gehalten im Ton, fundiert, informativ, glich es Wissensdefizite aus, um erst einmal die Wogen zu glätten und die Weichen für die Zukunft zu stellen, die eben anders aussehen wird als Vergangenheit und Gegenwart. Sicher, er hat nicht bei allen das Ziel erreicht, aber immerhin ist ein Anfang gemacht. Gar nichts wäre gewonnen worden, hätte er sich auf stur gestellt nach dem Motto: Ich habe es nicht nötig, irgendetwas zu erklären. Und wäre er zum Verräter an seiner Überzeugung geworden, wäre auch nichts Positives bewirkt worden. So aber hat das, was das Zweite Vatikanische Konzil verlautbaren ließ, Anwendung gefunden. Ein Wort hat „bewirkt, was es will“ und „erreicht, wozu es ausgesandt wurde“. Und diese Anwendung, in Wort und Tat, wirkt wiederum weiter. Dürfen wir nicht annehmen, dass hier der Geist Gottes wirkt, seine Gaben der Weisheit, des Verstandes, des Rates und der Stärke wirksam werden? Ihm zu folgen, so wie der Gemeindepfarrer, zeugt von christlichem und, man sollte es vielleicht mal an dieser Stelle klar sagen, von urkatholischem Selbstbewusstsein.
Ein zweites Beispiel: Allerorten hört man Menschen reden von der „Mündigkeit der Christen“. Solches Reden äußert sich fordernd, bedauernd, (an)klagend, wie auch immer, aber stets mit negativem Unterton. Warum nehmen wir als Christen, denen nicht nur die Zukunft des Glaubens, sondern auch die der Kirche am Herzen liegt, das nicht als Einladung, um von der Freiheit des Christenmenschen zu erzählen. Das ist doch biblische Botschaft, das ist zutiefst katholische Lehre. Warum sind wir oft nicht einfach so frei und geben davon Zeugnis? In einer Zeit, in der von der neuen Zivilisationskrankheit „Angst“ immer mehr die Rede ist, kann die Verkündigung von (Gewissens-)Freiheit in Wort und Tat mitunter lebensnotwendig sein. Warum lassen wir den befreienden Geist Gottes nicht öfter erfahrbar werden?

Sinkende Gottesdienstbesucherzahlen, zunehmende Säkularisierung, Hinwendung zu Technik oder Okkultismus – das alles kann schon mutlos machen, kann in uns den eigenen Funken (fast) zum Verlöschen bringen. Die Gefahr ist zweifelsohne gegeben, dass der Zeitgeist den Geist Gottes zum Schweigen bringt. Aber wenn ich an diese Gefahr denke, fällt mir gleichzeitig auch der Sämann aus dem heutigen Evangelium ein: Er hat seine Saat ausgebracht. Sich seiner Aufgabe, letztlich sich seiner selbst-bewusst, ist er das Risiko eingegangen, dass ein Teil vernichtet wird, verdorrt oder erstickt. Sein Lohn: Ein Teil hat Frucht getragen, sprich: hat erreicht, was er wollte, hat etwas bewirkt. Der eingangs erwähnte Pfarrer hat in diesem Sinne gehandelt, sowohl durch seine zündende Predigt als auch mit seiner Forderung nach deren Umsetzung im Leben. Mir machen die beiden jedenfalls Mut – Mut, den Mund aufzumachen, wo ich etwas zu sagen habe, und es als selbst-bewusster Christ zu tun, und Mut, nicht zuzulassen, dass ich oder ein anderer es bei mehr oder weniger nichtssagenden Worthülsen belässt, wenn es darum geht, das Wort Gottes zu verbreiten. Die zwei machen mir Mut, treiben mich an, und noch ein anderer Pfarrer, von dem ich Ihnen am Ende noch erzählen möchte:

4. Die Frucht des Geistes – angewendetes Christsein
Ein portugiesischer Seifenfabrikant sagte einmal zu ihm: „Das Christentum hat nichts erreicht. Obwohl es schon bald zweitausend Jahre gepredigt wird, ist die Welt nicht besser geworden. Es gibt immer noch Böses und böse Menschen.“ Der Pfarrer wies auf ein ungewöhnlich schmutziges Kind, das am Straßenrand im Dreck spielte, und bemerkte: „Seife hat nichts erreicht. Es gibt immer noch Schmutz und schmutzige Menschen in der Welt.“ „Seife“, entgegnete der Fabrikant, „nutzt nur wenn sie angewendet wird.“ Darauf der Pfarrer: „Christentum auch.“

 [Anmerkung der Redaktion: Die von Frau Gleißl verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1996; S. 276-278]


Maria Gleißt, Pastoralreferentin