2. Fastensonntag (A)

Predigtimpuls

„Er führte sie auf einen hohen Berg.“

1. Lesung: Gen 12, 1-4a
2. Lesung: 2 Tim 1, 8b-10
Evangelium: Mt 17, 1-9

Der Berg war schon immer ein Ort der Begegnung der Menschen mit Gott. Nicht nur im Alten Testament. Auch in anderen Religionen waren die Berge der Wohnort der Götter: etwa der Olymp in der griechischen oder der Himalaya in der indischen Mythologie. Die Berge haben etwas Faszinierendes für die Menschen und üben auf sie eine fast magische Anziehungskraft aus. Nach einem langen, beschwerlichen Aufstieg auf den Berg scheinen auf einmal die Sorgen des Alltags unten im Tal vergessen zu sein. Wenn man auf einen Berg steigt, hat man das Gefühl der Freiheit und der Grenzenlosigkeit. Man hat einen weiten Blick bis zum Horizont. Der Berg ist oft ein Ort der neuen Inspiration. Es ist eine Grenzerfahrung, weil wir über unsere Begrenzungen hinauswachsen können. 

Etwas Unerklärliches, aber auch etwas Faszinierendes ist das, was uns das heutige Evangelium erzählt. Auf dem Berg wird Jesus vor den Augen der drei Apostel verwandelt. Er ist in Licht gehüllt und sein Gesicht strahlt wie die Sonne; wir sprechen deshalb von seiner Verklärung oder Verwandlung. Vielleicht lässt sich aus dem Bereich unserer Erfahrung ein kleiner Zugang dazu gewinnen. Manchmal sagen wir von einem Menschen: Er ist wie verwandelt. Er hat ein entscheidendes Erlebnis gehabt, und nun ist er anders als früher. Er ist noch der Mensch, den man kennt, und er ist zugleich ein anderer: Er ist wie verwandelt. So muss Jesus den Jüngern auf dem Berg erschienen sein: als einer, den sie kannten, und zugleich als einer, der ganz neu vor ihnen stand; Gottes Herrlichkeit war an ihm sichtbar geworden. Wir nennen dieses Sichtbarwerden seiner verborgenen göttlichen Herrlichkeit „Verklärung“. Auch hier könnten wir von unserer Erfahrung ausgehen. Vielleicht haben wir von einer Höhe aus irgendeinmal über das Land geblickt, bei untergehender Sonne etwa oder nach einem Gewitter, wenn ein Regenbogen am Himmel stand - da lag es wie eine Verklärung über der Landschaft. Alles war wie sonst, und doch war es irgendwie anders: selbst das Unscheinbarste hatte noch sein Leuchten. Man schaute die verborgene Herrlichkeit der Welt.

Was hat nun die Verklärung Jesu für eine Bedeutung? Der Herr nimmt die drei bevorzugten Apostel mit auf den Berg. Sie sollen von seiner Verklärung Zeugnis ablegen. Aber nun sind bei der Verklärung Jesu auch Mose und Elija erschienen. Die beiden sind die Vertreter des Alten Testamentes. Auch das ist Zeugnis: Das Alte Testament zeugt für den, auf den es hingeordnet ist, es zeugt für den Herrn Jesus Christus. So erscheint Jesus über seine eschatologische Bedeutung hinaus als der neue Mose, der Gesetzgeber des neuen Volkes. Er empfängt diese Würde, weil er zuvor im Gehorsam durch Leiden und Tod hindurchgegangen ist. Der neue Mose hat so begonnen, dass er dem Gesetz, das er vorlegte, zuerst selbst gehorchte. Im Gegensatz zu Mose ist Jesus ein Gesetzgeber, der ein Gesetz nicht nur auferlegt, sondern zugleich die inneren Möglichkeiten gibt, dass es erfüllt werden kann.

Mose und Elija versuch¬ten im Alten Testament in das Geheimnis Gottes einzudringen, ohne dass es ihnen gelungen wäre. Nun aber kommt ihr Suchen in Jesus zum Ziel: Gottes Geheimnis ist erschlossen, und zwar in dem Maße, wie Gott sich in seiner Menschheit offenbart hat im Dienst an den Menschen. Die Suche des Mose und Elija wird immerfort zurück¬verwiesen auf Gottes Gegenwart in dieser Geschichte der Menschen, die in Jesus zum Ziel kommt. Es gibt keinen gangbaren Weg mehr zum Sinai oder Horeb. Der einzig gültige Weg führt zu Jesus hin, der ganz Mensch und ganz Gott ist, der ganz im Dienst der Menschen steht. Vielleicht ist die Verklärung weniger das Mysterium der individuellen Vergöttlichung Jesu als das Ereignis, in dem die Menschen den Gott entdecken, der ihnen dient.

Jesus will auch uns verwandeln. Die Augen auch unseres Herzens müssen geöffnet werden und offen bleiben. Der sie öffnen kann, ist allein der Herr. Seine Gegenwart hat eine heilende Wirkung. Er will alle Menschen in seine heilende Nähe einladen. Dieser Einladung sind wir gefolgt. Er öffnet unsere Augen, wenn wir ihm gegenüber rückhalt¬los offen sind. Er lässt uns richtig sehen, wenn wir in seinem Sinne glauben. Er will einen Glauben, der ohne Wenn und Aber sich ganz Gott anvertraut, der Gott zutraut, unsere Anliegen auch dann zum Besten zu wenden, wenn wir sein Handeln und Zulassen nicht begreifen. Nur das Licht des Glaubens lässt uns richtig sehen.

P. Dr. Stanislaw Kusmierz SVD