Hl. Damian De Veuster (g)

Predigtimpuls

Damian De Veuster, Priester der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariä, Apostel der Aussätzigen und Märtyrer der Nächstenliebe. Ein ungewöhnlicher Heiliger

Lesung: Röm 5,1-8
Evangelium: Joh 10, 11-18

Ein ungewöhnlicher Heiliger

Molokai - Insel des Todes mitten im Paradies

Wir schreiben den 10. Mai 1873. Schauplatz Molokai, eine der paradiesischen Inseln im Königreich Hawaii. Ein junger Priester, Mitglied der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens (in Deutschland bekannt unter dem Namen Arnsteiner Patres) betritt die Insel. 33 Jahre ist er alt. Sein Name: Damian De Veuster. Er kommt nicht als Tourist. Auch nicht, um sich auf einer abgelegenen Insel vom Alltagsstress zu erholen und nach einiger Zeit dann braungebrannt und neu gestärkt an seine bisherige Wirkungsstätte zurückzukehren. 

Dieser Priester weiß genau, dass er nicht mit heiler Haut davonkommen wird. Denn Molokai ist eine Insel des Schreckens, eine Hölle mitten im Paradies. Von ihr gibt es kein Zurück. Nach Molokai kommen, bedeutet: lebendig begraben zu werden. Wer hier „landet”, ist nicht nur für eine Weile aus dem Verkehr gezogen. Er wird aus dem offiziellen Bevölkerungsregister gestrichen und existiert nicht mehr. Auf diese Insel kommt niemand freiwillig. Molokai ist der sichere Tod unter unvorstellbaren Bedingungen.


Wie kam es zu dieser Todesinsel?

1778 hatte der englische Kapitän James Cook Hawaii entdeckt. Die Entdeckung sprach sich schnell herum. Walfischfänger, schließlich auch Kaufleute und Farmer aus den Vereinigten Staaten überschwemmten den kleinen Kanakenstaat. Nach kurzer Zeit dominierten sie die einheimische Bevölkerung mit allen zersetzenden Folgen einer rücksichtslosen Überfremdung. Besonders verheerend wirkten sich die von ihnen mitgebrachten Zivilisationskrankheiten aus, da die Eingeborenen gegen sie keinerlei Immunsystem besaßen. Innerhalb von 80 Jahren war die hawaiische Bevölkerung um ein Fünftel, von 330.000 auf ca. 60.000 geschrumpft. 

1845 war mit einem Schiff auch die Lepra (Aussatz) nach Hawaii eingeschleppt worden. Sie entpuppte sich als tödliche Epidemie. Ihr drohte die gesamte einheimische Bevölkerung zum Opfer zu fallen. Es gab keinerlei Mittel gegen sie. Die Behörden waren ratlos und gerieten zunehmend in Panik. Sie verordneten Meldepflicht in der Hoffnung, auf diese Weise die Seuche unter Kontrolle zu bringen. Aber es gab kein Halten mehr. Das Massensterben ging weiter. Schließlich wurden gnadenlos Razzien organisiert, um alle bei denen die äußeren Symptome der Lepra entdeckt wurden, festzunehmen und an einem sicheren Ort auszusetzen. Dieser Ort war Molokai, genauer Kalawao, ein Teil dieser Insel. Vor sich hatten die Leprakranken das mit gefährlichen Riffen durchsetzte Meer, hinter sich unüberwindbare Felswände. Ein Entkommen war unmöglich. So wurde Molokai zu einem Konzentrationslager für Aussätzige, lange bevor es diesen Begriff gab.


An diesem Ort gibt es kein Gesetz

Die Behörden glaubten, sich mit diesen brutalen Deportationen des Problems entledigen zu können. Verfahrensweise und Zustände waren unbeschreiblich. Die Kranken wurden vor der Insel ins Meer gekippt, wie Abfall und der letzte Dreck. Endgelagert wie gefährlicher Müll, den man unbedingt loswerden muss. 

Es gab keinerlei Vorkehrungen, keinerlei Vorsorge. Es existierten weder Wohnungen noch Wasserstellen. Es gab keine Medikamente, keine Pflege, keinen Arzt, keinen Priester. Die Aussätzigen waren in ihrem Elend allein sich selbst überlassen. 

Offene Anarchie und totales Chaos waren die Folge. Jede Ordnung, jede Moral waren aufgelöst. Mit wilden Orgien und Alkohol versuchten die Verschleppten sich zu betäuben. Es gab nur ein Recht: das des Stärkeren. Es gab nur ein Gesetz: das der Gesetzlosigkeit. „An diesem Ort gibt es kein Gesetz”, damit wurden die Neuankömmlinge begrüßt und dementsprechend brutal in die neue Wirklichkeit eingeführt. 

„An diesem Ort gibt es kein Gesetz!” Auch Pater Damian wird so empfangen, als er sich am 10. Mai 1873 mit einem Krankentransport auf der Insel aussetzen lässt. Er kommt freiwillig. Bei sich hat er nur, was er auf dem Körper trägt, sein Brevier, einen unbeugsamen Willen und unendlich viel Gottvertrauen und Liebe zu den Menschen.  


Damian - Priester der Verbannten

Wer war dieser Pater Damian und was hat ihn veranlasst, sich freiwillig dieser Hölle auszusetzen? - Sein Lebenslauf ist schnell berichtet. 1840 wird er in Tremeloo (Belgien) als siebtes Kind einer Bauernfamilie geboren. Statt den elterlichen Hof zu übernehmen, tritt er 1858 in die Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens ein, geht 1863 für seinen erkrankten Bruder in die Mission nach Hawaii und wird 1864 in Honolulu zum Priester geweiht. Rastlos ist er mehrere Jahre in verschiedenen Missionsdistrikten Hawaiis unterwegs - überall dahin, wo man ihn braucht. 

Gott ist Liebe. Gott liebt bedingungslos. Gott hat ein Herz für die Menschen. Außerhalb der Liebe kein Gott und kein Heil. Diese Kernaussagen der Spiritualität seiner Ordensgemeinschaft sind für ihn nicht erbauliche Betrachtungsliteratur, sondern prägender Maßstab für sein Leben und Handeln. So ist es nicht verwunderlich, dass Damian sich freiwillig nach Molokai meldet, als sein Bischof bei einer Priesterversammlung auf die menschenunwürdigen, ja geradezu menschenverachtenden Zustände in der dortigen Leprakolonie hinweist. Gleich mit dem nächsten Krankentransport tritt er die Reise an zu Menschen, die in den Augen der Deporteure keine mehr waren, an einen Ort nackter Verzweiflung mit den grausamen Folgen einer Zerstörung an Leib und Seele. „An diesem Ort gibt es kein Gesetz!” Doch das sollte bald anders werden.  


Bluejeans und Soutane

Zunächst hat auch Damian große Schwierigkeiten zurechtzukommen. Der Umgang mit Menschen, die bei lebendigem Leibe verfaulen, der Ekelerregende Gestank nicht versorgter, ungepflegter und von Würmern wimmelnder Wunden nimmt ihm den Atem. Beim Gespräch mit den Kranken muss er sich die Nase zuhalten. Bei der Feier der Messe ist er ständig versucht, sich übergeben zu müssen. Doch mehr und mehr schafft er sich, sich zu überwinden und so die Distanz zu den Menschen aufzugeben, denen man das Menschsein genommen hatte. „Wir Aussätzigen”, so beginnt er seine Predigten und beweist es ihnen. Er zeigt keinerlei Berührungsängste mehr. Er isst mit den entsetzlich entstellten Kranken aus einer gemeinsamen Schüssel, lässt sie an seiner Pfeife ziehen, pflegt und verbindet ihre Wunden, sorgt für feste Unterkünfte, Kleidung und Medikamente, arbeitet und feiert mit ihnen, baut Straßen, ein Waisen und ein Krankenhaus, eine Schiffsanlegestelle, damit die Kranken nicht mehr einfach nur ins Meer gekippt wurden, sorgt für Musik und Hobbies, tröstet sie und spendet ihnen die Sakramente, teilt mit ihnen das Leben und begleitet sie beim Sterben. 

So konnten die Aussätzigen seiner Predigt von der Liebe Gottes zu allen Menschen glauben. Die von den Menschen Ausgestoßenen und Aufgegebenen erfahren durch ihn, dass Gott niemanden ausstößt und es bei ihm keine hoffnungslosen Fälle gibt. Unter seiner Soutane trägt Damian Bluejeans. Das macht deutlich, wie er sich versteht. Nicht als predigender Taschenspieler, der Gott während seiner Predigt aus der Tasche zieht, wieder weggeht und erst zur nächsten Predigt wiederkommt, sondern als einer, der bleibt und das Leben teilt. Einer, der überall mit anpackt, sich für nichts zu schade ist und dazu bereit, sich die Hände schmutzig zu machen, weil er weiß, dass die Heilung der Seele auch über die Gesundung der sichtbaren Nöte geht. 

In diesem Sinn macht Damian regelrecht Politik, Parteipolitik. Nicht für eine Partei, sondern für die Menschen, die ihm anvertraut sind. Menschen, die keine Lobby haben, die wirklich Ärmsten seiner Zeit, die Aussätzigen auf Molokai. 

Er hat alle Hände voll zu tun, die Menschen akut zu versorgen, dennoch denkt, handelt und sorgt er über den Tag hinaus. Bei der Regierung, seinen kirchlichen Obern und Freunden lässt er nicht locker, um die medizinische Versorgung, Nahrung und Kleidung und die seelsorgliche Begleitung der Aussätzigen auf Dauer zu sichern.  

Schließlich kommt es wie es kommen musste. Damian infiziert sich mit der schlimmsten Form der Lepra und stirbt - den Aussätzigen ein Aussätziger geworden - am 15. April 1889 im Alter von 49 Jahren. Durch ihn hatte die Todesinsel Molokai ihren Schrecken verloren. Es wurde dort zwar auch weiterhin gelitten und gestorben, aber menschenwürdig und in Frieden. 

 

Hans-Ulrich Willms ss.cc.